[Rezension] Die Verschwundenen vom Mondscheinpalast

04. September 2019 | 00:58 | Gelesen

Titel: Die Spiegelreisende – Die Verschwundenen vom Mondscheinpalast
Autorin: Christelle Dabos
Originaltitel: La Passe-miroir – Les Disparus du Clairdelune
Erstveröffentlichung: 2015
Übersetzerin: Amelie Thoma


Wissenswertes

Die Spiegelreisende – Die Verschwundenen vom Mondscheinpalast ist die Fortsetzung zum Debütroman der französischen Bestseller-Autorin Christelle Dabos, die nach ihrem Studium nach Belgien auswanderte und dort als Bibliothekarin arbeitete. Sie begann an diesem Projekt zu arbeiten, nachdem sie 2007 an Krebs erkrankte und veröffentlichte zunächst Auszüge aus dem Roman im Internet. 2013 gewann sie damit den Jugendbuchbettbewerb eines französischen Verlags, der das Buch daraufhin noch im gleichen Jahr veröffentlichte.

Die Spiegelreisende – Die Verschwundenen vom Mondscheinpalast ist zudem der zweite Band einer Tetralogie. Der dritte Teil, Das Gedächtnis von Babel, soll bereits im November dieses Jahres auf Deutsch erscheinen. Der Abschluss der Reihe soll dann voraussichtlich im Frühling 2020 folgen.

Inhalt

Eigentlich hatte Ophelia gehofft, dass ihr Leben am Hof des Mondscheinpalastes nun, da sie sich nicht länger verstecken muss und offiziell unter dem Schutz des Familiengeistes Faruk steht, der sie sogar zur Vize-Erzählerin ernannt hat, etwas leichter werden würde. Doch trotz der vielen Einladungen, mit denen sie regelrecht überhäuft wird, ist sie als Person weder beliebter noch ihr Aufenthalt dort sicherer geworden. Stattdessen verschwinden einige Personen plötzlich spurlos aus der Botschaft und sie selbst erhält anonyme, ernst zu nehmende Drohbriefe, in denen sie dazu aufgefordert wird die Verlobung mit dem Intendanten umgehend zu lösen und den Pol für immer zu verlassen, wenn sie am Leben bleiben will. Aber wer steckt dahinter und, was vielleicht noch wichtiger ist, warum will jemand ihre Hochzeit mit Thorn um jeden Preis verhindern?

Kritik

Mit Die Spiegelreisende – Die Verschwundenen vom Mondscheinpalast hat Christelle Dabos ihre Reihe um die Animistin Ophelia gekonnt fortgesetzt und eine geniale Fortsetzung geschrieben, die mindestens genauso mitreißend ist wie ihr Vorgänger, diesen aber womöglich sogar noch übertrifft. Mit über 600 Seiten handelt es sich gewiss nicht um ein dünnes Buch, dennoch fliegen die Seiten quasi nur so dahin und am Ende wünscht man sich tatsächlich, dass das Buch noch länger gewesen wäre. Von einem schwächelnden Mittelteil kann hier auf jeden Fall keine Rede sein.

Die Protagonistin Ophelia ist nach wie vor eine fantastische Heldin, die sich im Hinblick auf den ersten Band schon jetzt merklich weiterentwickelt hat. Sie ist mutig und stark, tritt mittlerweile viel selbstbewusster auf und setzt sich für diejenigen ein, die ihr wichtig sind. Sie lässt sich von den vielen Intrigen am Hof, den unheilvollen Drohbriefen und dem herablassenden Verhalten der meisten Höflinge ebenso wenig unterkriegen oder einschüchtern wie von Thorns rätselhafter, wortkarger Art. Sie ist wesentlich cleverer als manche denken und entschlossen die Wahrheit über diese mysteriösen Vorgänge herauszufinden, notfalls eben im Alleingang. Glücklicherweise hat sie inzwischen jedoch Freunde und Verbündete am Hof gefunden, auf die sie dabei zählen kann.

Thorn kann man lange Zeit hingegen weiterhin nur sehr schwer durchschauen, weil er so schweigsam und verschlossen ist. Er ist stets akkurat, nimmt manche Dinge allerdings viel zu wörtlich. Er wirkt oft kalt, ist in Wirklichkeit aber alles andere als herzlos; es fällt ihm nur eben sehr schwer seine Gefühle zu offenbaren. Zum Ende hin öffnet er sich jedoch endlich etwas mehr, sodass man immerhin nicht bis zum Finale der Serie warten muss, um mehr über ihn und seine Beweggründe zu erfahren. Je besser man ihn kennen lernt, desto besser versteht man auch sein Verhalten und am Schluss hat man ihn irgendwann sogar wirklich gern.

Erfreulicherweise gilt das ebenso für seine Verlobte, wodurch Thorn und Ophelia sich langsam aber sicher näher kommen. Man freut sich auf jede Begegnung zwischen Ophelia und Thorn, vor allem wenn sie zur Abwechslung einmal allein sind, was selten genug vorkommt. Doch eine richtige Liebesgeschichte sollte man trotz einiger durchaus romantischer Momente im zweiten Band ebenso wenig erwarten. Erste Ansätze sind in dieser Hinsicht zwar immerhin vorhanden, worüber man sich sehr freut, sie nehmen allerdings nach wie vor allenfalls eine untergeordnete Rolle ein.

Im Vordergrund stehen somit vielmehr die geheimnisvollen Geschehnisse am Pol bzw. auf der Himmelsburg. Ophelia erhält bedrohliche Briefe, die nicht von ihr „gelesen“ werden können und seltsame Anspielungen auf einen gewissen „Gott“ enthalten. Nur wer könnte damit gemeint sein? Drohungen sind insbesondere für Thorn nichts Neues, doch die Situation spitzt sich zu als auf einmal Personen spurlos aus dem Mondscheinpalast verschwinden, dem am besten bewachten und bis dahin sichersten Ort auf der gesamten Arche. Ist dafür die gleiche Person verantwortlich, von der auch Ophelias Briefe stammen?

Außerdem lernt man nun den überaus seltsamen Familiengeist der Arche näher kennen. Sein Gedächtnis ist so löchrig, seine Fähigkeit sich Dinge zu merken so eingeschränkt, dass er ständig auf einen Gedächtnishelfer und seine unzähligen Merkhefte angewiesen ist. Darüber hinaus ist Faruk, dessen Kind Berenilde zurzeit erwartet, ziemlich fixiert auf die Animistin und ihre Fähigkeiten als Leserin. Er ist geradezu besessen von seinem Familienbuch und will unbedingt mehr darüber erfahren. Diese Aufgabe will Thorn nach seiner Hochzeit mit Ophelia übernehmen. Zwischendurch tauchen überdies immer wieder mysteriöse Fragmente auf, die scheinbar aus Faruks Vergangenheit stammen und nur noch mehr Fragen aufwerfen.

Des Weiteren erfährt man im Verlauf der Geschichte mehr über die verschiedenen Bereiche auf der Himmelsburg sowie die einzelnen Etagen von Faruks Turm, lernt aber auch neue, realere Orte am Pol kennen, darunter zum Beispiel Opalsand. Nachdem es bislang kaum noch etwas anderes als die Himmelsburg zu geben schien, obwohl es am Pol offenkundig noch andere Gebiete gibt, wirkt die Arche dadurch gleich viel größer und nimmt nun eine konkretere Gestalt an. Verstärkt wird dieser Effekt zudem durch das Hinzutreten weiterer Familien bzw. Clans, die bisher lediglich am Rande erwähnt wurden. Generell wird die ganze Welt, die Christelle Dabos erschaffen hat, zunehmend komplexer.

Die Handlung ist durchweg fesselnd und erstreckt sich über mehrere Monate, was unter anderem an der sehr temporeichen Erzählweise der Autorin liegt, die gern großzügig ein paar Wochen überspringt, um so vermutlich Längen zu vermeiden. Sie zieht einen unablässig in ihren Bann, denn die Charaktere sind einem mittlerweile so sehr ans Herz gewachsen, dass man gar nicht anders kann als mit ihnen mitzufiebern. Einerseits will man so schnell wie möglich wissen, was noch alles geschieht, andererseits das Erreichen der letzten Seiten so lange wie möglich hinauszögern. Man stellt gemeinsam mit Ophelia Vermutungen auf und sucht mit ihr nach der Wahrheit, wird allerdings mehr als einmal von unverhofften Wendungen überrumpelt. Irgendjemand scheint viel Arbeit darin zu investieren alle Erinnerungen an die Zeit vor dem so genannten Riss auszulöschen, nur warum? Der Besuch von Ophelias gesamter Familie lockert die angespannte Atmosphäre dagegen zwischenzeitlich etwas auf. Die chaotischen Animisten sowie der Einfluss ihrer Fähigkeiten auf diverse Gegenstände stellen nämlich einen unterhaltsamen Kontrast zu den eingebildeten Höflingen und ihren steifen Gepflogenheiten dar.

Zum Schluss hin wird das Buch dann außerdem noch einmal besonders spannend. Die Ereignisse überschlagen sich und es erwarten einen zahlreiche Überraschungen. Irgendwann will man das Buch am liebsten gar nicht mehr aus der Hand legen. Das Ende kommt schließlich unerwartet und ist vollkommen anders als gedacht. Man bekommt zwar einige, lang ersehnte Antworten, umso mehr neue Fragen werden jedoch auch aufgeworfen. Infolgedessen ist man natürlich überaus neugierig auf den nächsten Band, der glücklicherweise schon in wenigen Wochen erscheint und noch nicht das Ende dieser großartigen Reihe ist.

Positiv hervorzuheben sind im Übrigen noch die Übersichten zu Beginn des Buches, bestehend aus einer Art Stammbaum und einer Karte der Himmelsburg, sowie die ausgesprochen hilfreiche, kurze Zusammenfassung des ersten Bandes. Letzteres sollte bei Fortsetzungen bzw. Reihen, deren einzelne Bände aufeinander aufbauen, zukünftig bei allen Verlagen zum Standard gehören.

Fazit

Die Spiegelreisende – Die Verschwundenen vom Mondscheinpalast ist eine großartige, vielversprechende Fortsetzung, die mühelos mit ihrem Vorgänger mithalten kann und einen immer wieder überrascht. Entsprechend groß ist natürlich die Vorfreude auf den dritten Band und man ist mehr als gespannt darauf, was einen im weiteren Verlauf dieser fantastischen Serie wohl noch alles erwartet.





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