Autor: Morton Rhue
Originaltitel: Give a Boy a Gun
Erstveröffentlichung: 2000
Übersetzer: Werner Schmitz
Wissenswertes
Ich knall euch ab! ist ein Werk des us-amerikanischen Autors Morton Rhue, dessen Bücher sowohl unter diesem Pseudonym als auch unter seinem echten Namen, Todd Strasser, veröffentlicht werden. In den USA zählt er zu den bekanntesten Kinder- und Jugendbuchautoren, hierzulande kennt man vor allem seinen vielfach ausgezeichneten Roman Die Welle, der schon seit Jahrzehnten in vielen deutschen Bundesländern auf dem Lehrplan steht und auf dem Drehbuch der gleichnamigen Verfilmung einer Kurzgeschichte des Geschichtslehrers Ron Jones basiert, der das im Buch dargestellte Experiment 1967 selbst an einer Schule in Palo Alto durchgeführt hat.
Inhalt
Kritik
Die Geschichte als solche mag fiktiv sein, doch derartige Schulschießereien kommen insbesondere in den USA inzwischen fast schon regelmäßig vor. Schlagzeilen wie „Amokläufe in den USA: Mehr tote Schulkinder als Soldaten in diesem Jahr [2018]“ entspringen nämlich nicht etwa der Fantasie eines Autors, sondern geben die traurige und zugleich erschreckende Wahrheit wieder.
In Ich knall euch ab! konnte das Schlimmste noch verhindert werden, sodass es im Unterschied zu anderen, ähnlich gelagerten Fällen „nur“ einen Toten gab, aber vergleichbare Schikanen sind für sehr viele Schüler auch in der Realität alltäglich. Das schulische Umfeld von Gary und Brendan war permanent von Gewalt geprägt, die vor allem von den beliebten Sportlern ausging, was wiederum der Grund dafür war, das etliche Lehrer die Augen davor verschlossen oder tatenlos dabei zusahen, statt aktiv dagegen vorzugehen, wie es als Pädagogen eigentlich ihre Aufgabe gewesen wäre. Es ist erschreckend, wenn manche Lehrer im Nachhinein gestehen sich nicht getraut zu haben bei Sportlern gegen deren Fehlverhalten vorzugehen, weil sie die Reaktionen des Trainers, der Eltern, der Sportfans, usw. fürchteten. Dadurch erhalten diese Sportler nämlich einen Freibrief zu tun und zu lassen, was immer sie wollen, einschließlich der Quälerei vermeintlich Schwächerer.
Das Wissen, dass sich solche Vorfälle an us-amerikanischen Schulen täglich abspielen und manche Schüler so stark darunter leiden, dass sie entweder keinen Sinn mehr darin sehen zu leben oder auf Rache sinnen, macht einen traurig und wütend zugleich, ebenso wie die Ignoranz der Leute, die zumindest teilweise dafür verantwortlich sind. Außerdem wirft es die Frage auf, warum aus solch furchtbaren Ereignissen keine Konsequenzen gezogen werden, um wenigstens zu versuchen künftige Amokläufe zu verhindern. Das Recht eine Waffe zu besitzen ist einigen Amerikanern jedoch wichtiger als alles andere, offenbar inklusive des Lebens ihrer Kinder, und man kann nur fassungslos den Kopf schütteln, wenn sie es im Rang etwa mit der Meinungsfreiheit gleichsetzen und so tun als würden schärfere Waffengesetze gleich die gesamte Demokratie zum Einsturz bringen. Abgesehen davon bietet der Autor, zum Beispiel durch die Aussagen bestimmter Figuren, verschiedene andere Lösungsansätze an; die Verschärfung der Waffengesetze nehmen also nur einem kleinen Teil ein. Viel wichtiger noch ist die pädagogische Arbeit an Schulen, um für ein besseres Miteinander zu sorgen und vor allem ein gewaltfreies Klima zu erschaffen.
Je mehr man über Gary und Brendan erfährt, desto deutlicher kommt zum Vorschein, wie viele Hinweise und Warnsignale – von blutigen, brutalen, Gewalt verherrlichenden Gedichten über echte Bombentests – es gegeben hat, bevor sie ihre Gewaltfantasien in die Tat umgesetzt haben, die sowohl von Mitschülern bzw. Freunden als auch von Lehrern übersehen oder ignoriert wurden, obwohl gerade letztere sie eigentlich hätten erkennen und daraufhin aktiv werden müssen.
Was Gary und Brendan getan haben, war falsch, ohne jeden Zweifel, allerdings man kann durchaus nachvollziehen, was sie zu dieser verzweifelten Tat getrieben hat. Als Leser hat man mitunter sogar mehr Mitleid mit den Tätern als mit den Opfern, wobei diese Rollen hier zum Teil doppelt verteilt sind, denn vor ihrem Amoklauf waren Gary und Brendan Opfer von Mobbing, Misshandlungen, physischer sowie psychischer Gewalt. Doch so leicht wie es für die beiden war an Waffen und Sprengstoffen zu gelangen, so schwer war es für sie Hilfe zu bekommen – auch daran sollte man dringend etwas ändern.
Da sogar Ausschnitte aus Interviews mit den besagten Sportlern enthalten sind, lässt Morton Rhue insofern auch Täter zu Wort kommen. Ihren schlimmsten Peiniger haben Gary und Brendan am Tag des Amoklaufs am meisten leiden lassen, trotzdem hat dies bei ihm zu keiner Einsicht geführt. Es ist geradezu erschütternd. Er ist sich nach wie vor keiner Schuld bewusst, spielt seine Verantwortung herunter und sucht nach Ausflüchten, schließlich habe er nichts getan, was tausend andere Jungen an tausend anderen Schulen nicht ebenfalls andauernd tun würden, als würde das irgendetwas von seinem Verhalten rechtfertigen. Dass tausend andere es womöglich auch tun, macht es jedoch nicht weniger falsch.
Den Abschluss bildet ein ausgesprochen aufschlussreiches Nachwort eines deutschen Universitätsprofessors darüber, wie es zu Gewalttaten an Schulen kommt. Einmal mehr wird dadurch aufgezeigt, dass Schulen endlich aktiv werden und Gegenmaßnahmen ergreifen müssen, um die stetig steigende Gewalt unter Kontrolle zu bekommen. Obwohl das Thema nach wie vor hochaktuell ist, wird nämlich immer noch viel zu wenig getan, um diese Gewalt einzudämmen. Dabei sollte gerade an Schulen ausführlich über diese Problematik gesprochen werden.
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