[Rezension] Wie man einen Toaster überlistet

05. Juli 2019 | 23:50 | Gelesen

Titel: Wie man einen Toaster überlistet
Autor: Cory Doctorow
Originaltitel: Unauthorized Bread
Erstveröffentlichung: 2019
Übersetzer: Jürgen Langowski


Wissenswertes

Wie man einen Toaster überlistet ist eine Novelle des mehrfach ausgezeichneten kanadischen Schriftstellers und Journalisten Cory Doctorow, der sich unter anderem aktiv für die Liberalisierung des Urheberrechts einsetzt. Seit einigen Jahren lebt er mit seiner Familie in Los Angeles, USA, und arbeitet dort als Gastdozent an der USC, der Universität von Südkalifornien.

In Großbritannien sowie den USA wurde Wie man einen Toaster überlistet zusammen mit drei weiteren Texten des Autors in einer Anthologie mit dem Titel Radicalized veröffentlicht.

Inhalt

Salima ist überglücklich als sie nach mehreren Jahren des Wartens erstmals in ihre eigenen vier Wände ziehen kann, noch dazu in eine neue Wohnung in einem modernen Hochhauskomplex. Sie hatte sich eigentlich auch damit abgefunden, dass die bezahlbare Miete an die Nutzung gewisser Geräte und lizensierter Produkte geknüpft ist. Doch dann verweigert plötzlich erst der Geschirrspüler seinen Dienst und schließlich akzeptiert der Toaster nicht einmal mehr das teure autorisierte Brot, weil die beiden Hersteller pleite sind. Was nun? Salima recherchiert im Netz und findet heraus, wie sie die Geräte hacken und wieder in Ganz setzen kann. Ihre Freude über diesen Erfolg ist zunächst sogar so groß, dass sie ihn mit anderen Mietern teilt – bis sie erfährt, welche Konsequenzen ihr Handeln haben kann …

Kritik

Mit Wie man einen Toaster überlistet hat Cory Doctorow eine sehr gelungene und schnell gelesene Novelle geschrieben, die vollkommen anders ist als der Titel vermuten lässt. Obwohl die Erzählung keinen bitterernsten Ton anschlägt, ist es kein humoristisches Werk, jedenfalls keines, wie man es in der Buchhandlung im Humor-Regal finden würde.

Es handelt sich vielmehr um eine eigenständige, in sich abgeschlossene Geschichte mit einem geradlinigen Handlungsablauf, die wegen ihres geringen Umfangs allerdings noch nicht als Roman bezeichnet werden kann. Im Hinblick auf das Genre bewegt sich der Autor auf einem schmalen Grat zwischen Science Fiction und zeitgenössischer Literatur, denn das Buch spielt genau genommen zwar in der Zukunft, diese scheint hier jedoch nur wenige Jahre von der Gegenwart entfernt zu sein. Inhaltlich ist es vor allem ein gesellschaftskritisches Werk, im besten Sinne, es hält der aktuellen Gesellschaft nämlich den Spiegel vor. Durch überspitzte Darstellungen weist Cory Doctorow darin gekonnt auf schon jetzt vorhandene Probleme hin, an denen wir alle arbeiten sollten.

Die junge Protagonistin Salima lebt gegenwärtig in den USA, stammt aber ursprünglich aus Libyen und kam vor einigen Jahren als Flüchtling in dieses Land. Sie ist clever und arbeitet hart, verdient jedoch nicht besonders viel Geld, sodass sie sich keine reguläre Wohnung leisten kann. Sie wohnt deshalb, genau wie viele andere ehemalige Flüchtlinge, in einer der Sozialwohnungen eines teuren Hochhauses, in dem sie beschämenderweise wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden.

Um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, dürfen zukünftige Vermieter gemäß eines Gesetzes beispielsweise fünfzig statt andernfalls nur dreißig Stockwerke hoch bauen, wenn sie im Gegenzug auf einer bestimmten Anzahl an Etagen Sozialwohnungen einrichten, bei denen sich die Höhe der Miete nach dem Einkommen des Mieters richtet. Die günstige Miete ist allerdings an Bedingungen geknüpft, darunter die Verwendung lizensierter bzw. autorisierter (=teurer) Produkte in den eingebauten Markengeräten in Küche und Badezimmer wie dem bereits im Titel erwähnten Toaster. Es ist zwar möglich diese Geräte zu hacken, dies ist aber natürlich verboten und sollten sie erwischt werden, riskieren sie nicht nur eine strafrechtliche Verfolgung, sondern die Kündigung des Mietvertrages. Sogar der Austausch der Geräte bzw. sich ein anderes, vergleichbares Gerät zusätzlich anzuschaffen, ist laut Mietvertrag untersagt, da die Vermieter durch Verträge mit den jeweiligen Herstellern Einnahmen über die bestellten Produkte generieren wollen. Um der perversen Überwachung und Ausbeutung in dieser Welt noch die Krone aufzusetzen, unterliegen selbst Schulbücher außerhalb des Schulgeländes sowie der eigenen Wohnung einer Sperre, die nur durch die Zahlung zusätzlicher Gebühren überwunden werden kann.

Diese Mieter sind jedoch nicht nur zahlreichen, unfairen Beschränkungen unterworfen, es wird ihnen auch von Vornherein jede noch so kleine Annehmlichkeit verwehrt, was einem absolut unbegreiflich ist. In dem Gebäude, in dem Salima wohnt, gibt es insgesamt fünfzig Etagen, acht davon mit Sozialwohnungen, und ganze sechzehn Fahrstühle, doch jeder einzelne von ihnen ist grundsätzlich für die sogenannten Vollzahler reserviert. Solange ein Vollzahler sie benutzt, halten sie ausschließlich auf deren Stockwerken, sodass Salima und die anderen Sozialmieter zum Teil bis zu einer Stunde auf einen Fahrstuhl warten müssen. Da sie alle in der 34. bis 41. Etage untergebracht sind, ist die Nutzung der Treppen aber keine tägliche Option, vor allem nicht mit Einkäufen und/oder Kindern.

Die Fahrstuhl-Programmierung sowie die separaten Eingänge sollen gewährleisten, dass die Vollzahler und die Mieter der Sozialwohnungen sich keinesfalls begegnen, was die Kluft zwischen Arm und Reich nur noch größer macht. Dabei ist der wohlhabende, privilegierte Teil der Bevölkerung ohnehin meist schon so ignorant, dass er die Probleme der Geringverdiener nicht versteht. Das wird besonders deutlich als Leute, die selbst nie eines dieser besagten Markengeräte kaufen würden, um nicht denselben Einschränkungen zu unterliegen, herablassend von sich geben, dass Salima und die anderen dafür schließlich weniger Miete zahlen müssten und die Wahl gehabt hätten. Das ist nur zutreffend, sofern man die Entscheidung zwischen einer eigenen Wohnung und der Option weiterhin mit zahlreichen, fremden Menschen in einer Flüchtlingsunterkunft ohne echte Privatsphäre oder individuelle Planungsmöglichkeiten zu hausen, ernsthaft als solche bezeichnen möchte.

Der Umgang mit Flüchtlingen ist ebenfalls ein zentraler Aspekt der Novelle und diese nach wie vor aktuelle Thematik wird insbesondere in Rückblenden näher beleuchtet. Cory Doctorow beschreibt sehr anschaulich, was Salima alles erlebt und durchlitten hat bis sie an den Punkt gelangte, an dem sie heute ist; wie andere sie behandelt haben und welche Steine ihr in den Weg gelegt wurden. Zugleich weist er auf Widersprüche und Paradoxa hin. So musste Salima beispielsweise für ihre Unterkunft verschiedene Arbeitsdienste leisten, hatte vor lauter Arbeit dann allerdings kaum Zeit sich um eine richtige Arbeitserlaubnis zu bemühen, um sich einen echten Job suchen zu können.

Aufgrund ihrer überwiegend schlechten Erfahrungen besteht Salimas privates, soziales Umfeld lange Zeit ausschließlich aus anderen Flüchtlingen bzw. Einwanderern. Erst in der etwa gleichaltrigen Wyoming findet Salima schließlich eine erste und loyale Freundin außerhalb ihres bisherigen Milieus. Ihr jeweiliger Erfahrungsschatz könnte natürlich kaum unterschiedlicher sein – Wyoming ist wahrscheinlich relativ behütet aufgewachsen und musste sicher nie einer ungewissen Zukunft entgegen sehen – trotzdem ist eine Freundschaft zwischen ihnen möglich, da sie einander unvoreingenommen und ohne Vorurteile begegnen.

Abschließend noch ein paar Worte zum Schreibstil des Autors: Zunächst hat man ein paar Schwierigkeiten mit den gelegentlich sehr langen Schachtelsätzen, die anfangs ein wenig den Lesefluss hemmen, doch mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Darüber hinaus enthält das Buch teilweise recht viele technische Abläufe und Details, die aber durchaus interessant sind, sobald man die Erklärungen erst einmal verstanden hat.

Fazit

Wie man einen Toaster überlistet ist eine überaus empfehlenswerte Novelle, die sich anders, als der Titel vielleicht vermuten lässt, gesellschaftskritisch mit der Flüchtlingsthematik auseinander setzt und zum Nachdenken anregt.





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