[Rezension] Atemnot

20. Dezember 2016 | 23:15 | Gelesen

Titel: Atemnot
Autorin: Ilsa J. Bick
Originaltitel: Drowning Instinct
Erstveröffentlichung: 2012
Übersetzerin: Anke Caroline Burger


Wissenswertes

Atemnot ist ein für sich allein stehender Roman der us-amerikanischen Autorin Ilsa J. Bick, die vor allem durch ihre Ashes Reihe Bekanntheit erlangte. Bevor sie als erfolgreiche und ausgezeichnete Autorin ihr Geld verdiente, war sie Kinder- und Jugendpsychologin, was man ihren Jugendbüchern stets ein wenig anmerkt.

Inhalt

Nach einer schweren Zeit und einem Aufenthalt in der Psychiatrie hat Jennas Vater gegen den Rat ihrer Therapeutin beschlossen, dass es für seine Tochter nun wieder an der Zeit ist eine öffentliche Schule zu besuchen und ihr Leben weiterzuleben, ob sie will oder nicht. Ihr Vater hat ohnehin kein Verständnis für sie, ihre Mutter ist Alkoholikerin und ihr Bruder, zu dem sie früher ein sehr enges Verhältnis hatte, ist im Ausland stationiert und nicht erreichbar. Die einzige Person, der Jenna sich anvertrauen kann und die ihr etwas Halt gibt, ist ihr Chemielehrer und Lauftrainer Mitch Anderson. Mit ihm geht sie schließlich eine verbotene Beziehung ein, doch als Wahrheit und Lüge sich immer schwerer auseinanderhalten lassen, ist sie nicht länger sicher, ob sie ihm wirklich vertrauen kann …

Kritik

Mit Atemnot hat Ilsa J. Bick auf jeden Fall ein sehr spezielles und einzigartiges Buch geschrieben, das ohne Zweifel eine außergewöhnliche Geschichte erzählt. Ob man das mag, ist allerdings eine andere Frage.

Besonders gut gelungen ist zunächst der Prolog, der aus der Perspektive einer anderen Figur geschildert wird und einen gleich sehr neugierig auf die Ereignisse macht, weil man unbedingt wissen möchte, was genau der Protagonistin passiert ist und wie es überhaupt dazu kam.

Danach beginnt Jenna selbst rückblickend und zumeist eher umgangssprachlich ihre Geschichte so zu erzählen, wie sie sie erlebt hat. Von Vorteil ist dabei, dass sie und der Leser das Ende in gewisser Weise schon kennen, auch wenn letzterer noch nicht viel damit anzufangen weiß. Dadurch kann sie als Erzählerin manchmal Dinge vorweg nehmen, anders bewerten oder Andeutungen hinsichtlich der Bedeutung bestimmter Handlungen für den späteren Verlauf des Geschehens machen. Zudem streut sie hier und da Kommentare für den Polizisten ein, an den sich ihre Worte im Grunde richten bzw. für den sie sie auf Band spricht, was die Art und Weise der Erzählung sehr ungewöhnlich macht.

Sie spannt den Leser jedoch ganz schön auf die Folter und setzt ziemlich weit in der Vergangenheit an, wodurch die eigentliche Handlung nur langsam in Schwung kommt und man immer ungeduldiger wird. Fesselnd ist ihre Geschichte dennoch, vor allem wegen des Beginns und der diversen Rückschlüsse, die man daraufhin zu ziehen versucht, und sobald sie endlich ein wenig ereignisreicher wird, kann man das Buch schließlich kaum noch aus der Hand legen.

Es wirkt zwar weder erzwungen noch übertrieben dramatisch, aber mit der Zeit werden verdammt viele krasse Probleme und Schicksalsschläge für eine Person bzw. eine Familie aufgedeckt und es fällt zunehmend schwerer all diese Verstrickungen zu erfassen und zu durchschauen. Es scheint in Jennas Familie traurigerweise nicht eine einzige Person ohne massive psychische Probleme zu geben. Wie ihre Eltern sowohl miteinander als auch mit ihrer Tochter umgehen, ist einem völlig unverständlich. Jenna ist in ihrem relativ kurzen Leben schon so viel Schlimmes zugestoßen, dass viele andere Menschen daran zerbrochen wären und bei ihr haben diese Ereignisse ebenfalls Spuren hinterlassen. Sie bräuchte daher eigentlich viel mehr Hilfe, Unterstützung und Verständnis von ihren Eltern, die jedoch leider viel zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt sind.

Als Leser fällt es einem hin und wieder allerdings sehr schwer sich mit Jenna zu identifizieren, weil man beispielsweise ihren starken Drang sich selbst zu ritzen überhaupt nicht nachvollziehen kann. Auch in anderen Situationen versteht man häufig nicht, warum sie auf diese oder jene Weise reagiert. Vielleicht kann man manche Dinge aber eben erst dann verstehen, wenn man sie selbst erlebt.

Obwohl Mr. Anderson durch alles, was er für Jenna tut und wie stark er sich für sie einsetzt, durchaus Sympathien gewinnen kann, gelingt es einem nicht seine enge Beziehung zu ihr gutzuheißen oder gar romantisch zu finden, selbst wann man grundsätzlich erst einmal nichts gegen Lehrer-Schüler-Beziehungen einzuwenden hat. Das mag zum einen an der Tatsache liegen, dass er verheiratet ist, zum anderen, und dieser Umstand fällt mehr ins Gewicht, an dem enormen Altersunterschied zwischen ihm und Jenna, denn er ist schätzungsweise mindestens doppelt so alt wie sie und behandelt sie manchmal eher wie ein Kind als wie eine Erwachsene.

Bemerkenswert ist dagegen, dass an dieser Geschichte wirklich nichts schlicht schwarz/weiß ist oder sich problemlos in Kategorien wie gut und böse einordnen lässt. Das betont Jenna bereits am Anfang des Buches und behält damit tatsächlich recht. Dementsprechend fällt es sehr schwer ein abschließendes, eindeutiges Urteil über die Figuren und deren Handlungen zu fällen, dafür ist das ganze Geschehen viel zu kompliziert und vielschichtig. Insbesondere Mr. Anderson steht man am Ende sehr zwiespältig gegenüber, weshalb man nur zu gut versteht, was Jenna letztlich mit ihren Schilderungen macht und dass sie sich selbst nicht einfach nur als Opfer sehen kann.

Der Schluss und im Grunde die ganze Richtung, in die sich die Ereignisse später entwickeln, sind definitiv ganz anders als man anfangs vielleicht erwartet hat und die Handlung nimmt eine äußerst überraschende Wendung. Die letzte Zeile kommt sehr plötzlich und das Ende wirkt dadurch ziemlich abrupt. Im ersten Moment erscheint es sogar ausgesprochen offen, bei einem erneuten Blick auf den Prolog wird einem jedoch klar, dass zumindest die wichtigste Frage dort bereits beantwortet wurde. Ein paar andere Dinge bleiben hingegen ungeklärt und am Ende weiß man unter Umständen selbst nicht so recht, was man von dem Buch halten soll. In jedem Fall ist es keine leichte Lektüre nach altbekanntem Schema – das findet man entweder gut oder eben nicht.

Fazit

Atemnot ist ein Roman, der einen nachdenklich stimmt und sich nur schwer bewerten lässt, weil man nach dem Lesen selbst nicht wirklich weiß, was man von der Geschichte halten soll. Auf jeden Fall ist sie außergewöhnlich und alles andere als vorhersehbar, was man nicht von jedem Buch behaupten kann.





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