[Rezension] Daisy aus Fukushima

13. Oktober 2016 | 15:00 | Gelesen

Titel: Daisy aus Fukushima
Mangaka: Reiko Momochi
Originaltitel: Daisy – 3.11 Joshikousei-tachi No Sentaku
Erstveröffentlichung: 2012-2013
Übersetzerin: Yayoi Okada


Wissenswertes

Daisy aus Fukushima ist ein Manga der japanischen Mangaka Reiko Momochi, der auf dem Roman Pierrot von Teruhiro Kobayashi, Darai Kusanagi und Tomoji Nobuta basiert und die Nachwirkungen der Nuklearkatastrophe in Fukushima am 11. März 2011 näher beleuchtet.

Pro verkauftem Exemplar spendet der Verlag einen Euro an die deutsch-japanische Gesellschaft für Kinder aus Fukushima.

Inhalt

Anderthalb Monate nach dem verheerenden Erdbeben vom 11. März 2011, das einen Tsunami und eine schreckliche Nuklearkatastrophe in Fukushima verursachte, geht Fumi zum ersten Mal wieder zur Schule – in Fukushima. Doch ihr Leben hat sich grundlegend verändert und nichts ist mehr so, wie es einmal war. Schon die alltäglichsten Dinge, wie zum Beispiel ein kleiner Regenschauer, können beinahe eine Panik auslösen und die Angst vor der Verstrahlung und ihren Folgen ist allgegenwärtig. Noch schlimmer wiegt nur die Unsicherheit, denn niemand kann mit Sicherheit sagen, wie weit die Strahlung reicht und welche Auswirkungen sie auf lange Sicht haben wird.

Fumi und ihre Freundinnen wollen sich davon nicht unterkriegen lassen. Aber das ist leichter gesagt als getan und früher oder später müssen auch sie sich entscheiden, ob sie das Risiko eingehen und in ihrer Heimat bleiben oder Fukushima den Rücken kehren wollen …

Kritik

In Daisy aus Fukushima erzählt Reiko Momochi, basierend auf dem Roman Pierrot von Teruhiro Kobayashi, Darai Kusanagi und Tomoji Nobuta, die sehr emotionale und bewegende Geschichte von vier jungen Mädchen aus Fukushima, deren Leben nach der Katastrophe stellvertretend für alle Opfer näher beleuchtet wird. Die Thematik ist somit sehr ernst und der ganze Manga ausgesprochen realitätsnah, denn es werden nicht nur die Nachwirkungen eines wahren Ereignisses mit all seinen schlimmen Folgen für die Menschen, die dort leb(t)en, geschildert, er spiegelt auch die Gedanken und Gefühle echter Betroffener wider. Die Charaktere mögen also fiktiv sein, die Umstände und Geschehnisse in ihrem Leben beruhen jedoch alle auf wahren Begebenheiten.

Die Handlung beginnt anderthalb Monate nach 3/11 als die Protagonistin Fumi zum ersten Mal wieder zur Schule geht. Dabei wird schnell deutlich, wie sehr sich das Leben der Menschen dort verändert hat. Es geht in der Geschichte nämlich generell weniger um das schreckliche Unglück an sich und viel mehr um das Danach, also darum, wie die Menschen nun mit dieser Situation umgehen.

Im Mittelpunkt stehen die vier Mädchen, ihr Leben und ihre Zukunft nach dem bevorstehenden Schulabschluss. Fumi und ihre Freundinnen versuchen – wie alle Jugendlichen in ihrem Alter – herauszufinden, was sie mit ihrem Leben anfangen wollen. Vor allem aber müssen sie – im Unterschied zu anderen Altersgenossen – entscheiden, wo sie zukünftig Leben wollen, in ihrer Heimat Fukushima oder lieber in einem anderen, sichereren Teil Japans. Fumi fällt diese Wahl besonders schwer und sie ist hin und her gerissen zwischen dem Wunsch zu bleiben und dem Drang zu gehen.
Am Ende entscheiden sie sich jedoch alle auf die eine oder andere Weise dazu am Wiederaufbau mitzuwirken und den Menschen in Fukushima zu helfen, weil sie mit dem Herzen an ihrer Heimat hängen. Fumis größter Traum ist es, dass man eines Tages wieder vollkommen sorgenfrei dort leben kann.

Das Leben unzähliger Bewohner Fukushimas hat sich damals von einem Tag auf den anderen vollkommen verändert. Während manche nur mittelbar durch die Auswirkungen betroffen sind, haben andere ihr gesamtes Hab und Gut oder ihre ganze Lebensgrundlage verloren, wie beispielsweise die zahlreichen Flüchtlingen aus dem Evakuierungsradius, die gar kein Zuhause mehr haben und nun eine neue Unterkunft brauchen. Dieser Verlust schmerzt sie sehr und, sofern überhaupt, werden sie wahrscheinlich erst zurückkehren können, wenn ihre Häuser längst verfallen sind.

Viele Existenzen wurden vernichtet, Familien auseinandergerissen und nicht wenige Menschen haben sich deshalb sogar das Leben genommen. Insbesondere die Kinder leiden darunter, dass sie nicht mehr unbeschwert draußen spielen dürfen und sie ihre Freunde verlieren, wenn Familien umziehen. Die Eltern wollen natürlich nur das Beste für ihre Kinder – aber was ist das? Sie alle sind gezwungen abzuwägen, ob sie das Risiko ungeahnter Spätfolgen durch zu hohe Strahlung eingehen oder ihre Kinder zum Schutz lieber ihrem gewohnten Umfeld entreißen und sie notfalls gegen ihren Willen oder gar getrennt von ihnen bei Verwandten aufwachsen lassen, falls sie selbst die Präfektur wegen ihrer Arbeit nicht verlassen können oder sie aus dem Wunsch heraus zu helfen nicht einfach verlassen wollen.

Die gesamte Situation ist äußerst schwierig, sowohl für die Leute, die in Fukushima bleiben, als auch für die, die sich entschließen zu gehen. Die Menschen, die wegziehen, haben ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht beim Wiederaufbau helfen und werden deshalb zum Teil als Feiglinge oder gar Verräter bezeichnet. Manche bleiben ihrer Heimat dagegen aus Prinzip treu, andere haben schlicht nicht die Mittel um selbst zu gehen und sind somit nur neidisch auf die Umziehenden. Viele Freundschaften und Familien zerbrechen daran. Eine Verlobung wird gelöst, weil ein Mann aus Tokio nicht riskieren will eine möglicherweise verstrahlte Frau zu heiraten. Ein Reisbauer wird als „Mörder“ beschimpft, weil er in Fukushima weiterhin Reis anbaut und verkauft, obschon dieser natürlich kontrolliert wurde und die Strahlenwerte nachweislich unbedenklich sind. All das nimmt einen sehr mit. Die große Angst vor der radioaktiven Strahlung ist natürlich mehr als verständlich, das Verhalten einiger Menschen allerdings nicht.

Zum Glück gibt es im Gegensatz dazu aber auch Menschen, die nach Fukushima kommen um zu helfen oder aus Solidarität bewusst Produkte aus der Region kaufen statt nur zu behaupten, dass man als Land in dieser schweren Zeit zusammenhalten müsse, ohne aktiv irgendetwas dafür zu tun.

Kritik wird zudem an der Regierung geübt, die die Bevölkerung zu spät informiert hat und nicht ehrlich genug mit der Problematik umgegangen ist. Das daraus resultierende mangelnde Vertrauen in deren Informationen hat zu einer noch größeren Verunsicherung der Allgemeinheit geführt und die möglichen Spätfolgen kann momentan ohnehin noch niemand ermessen. Des Weiteren fehlt es an Einsatz für die gründliche und zeitnahe Dekontamination des betroffenen Gebietes.

Zahllose Menschen wurden von einem schweren Schicksalsschlag getroffen, über den sich viele vermutlich kaum Gedanken machen – teilweise in Japan selbst und besonders natürlich außerhalb des asiatischen Raums. Wie die Autorin es selbst anprangert, geriet die Katastrophe viel zu schnell wieder in Vergessenheit, obwohl die Auswirkungen für die Bevölkerung dort auch heute, Jahre später, nach wie vor deutlich zu spüren sind und der Wideraufbau noch lange nicht abgeschlossen ist.

Wer aus der Ferne zumindest ein wenig helfen möchte, tut dies schon mit dem Kauf dieses Mangas, denn pro verkauftem Exemplar spendet der Verlag einen Euro an die deutsch-japanische Gesellschaft für Kinder aus Fukushima.

Fazit

Daisy aus Fukushima erzählt eine einzigartige, sehr lesenswerte und zugleich informative Geschichte über die Nachwirkungen der Nuklearkatastrophe in Fukushima, die schon während des Lesens zum Nachdenken anregt und einen auch danach noch lange beschäftigt. Die ernste Thematik wird nicht nur oberflächlich angekratzt, sondern tiefgründig und sorgfältig behandelt. Der einfache, eher schlichte Zeichenstil passt dabei perfekt zur Handlung und unterstreicht diese statt sie zu überlagern.





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