[Rezension] Vielleicht dürfen wir bleiben

31. August 2019 | 23:45 | Gelesen

Titel: Vielleicht dürfen wir bleiben
Autorin: Ingeborg Kringeland Hald
Originaltitel: Albin Prek
Erstveröffentlichung: 2010
Übersetzerin: Maike Dörries


Wissenswertes

Vielleicht dürfen wir bleiben ist der erste Roman der norwegischen Schriftstellerin Ingeborg Kringeland Hald, die zuvor unter anderem als Managerin, Texterin und Songschreiberin tätig war. In Norwegen wurde ihr Kinderbuch für den renommierten Literaturpreis Brageprisen nominiert, in Deutschland wurde es 2016 mit dem Leipziger Lesekompass ausgezeichnet.

Inhalt

Vor fünf Jahren musste Albin mit seiner Mutter sowie seinen zwei kleinen Schwestern aus Bosnien fliehen. Letztere waren zum Glück noch so klein, dass sie gar nicht wirklich mitbekommen haben, was eigentlich los ist, aber Albin verfolgen die schrecklichen Erinnerungen an den Tod seines Vaters, den tagelangen Fußmarsch mit ungewissem Ziel und den ständigen Hunger noch heute. Inzwischen haben sie sich in ihrer neuen und vor allem sicheren Heimat gut eingelebt, der mittlerweile 11-jährige Albin hat eine neue Sprache gelernt und neue Freunde gefunden. Doch nun soll die Familie das Land plötzlich wieder verlassen, wodurch sie erneut ihr Zuhause verlieren würde. Um das zu verhindern ist Albin weggelaufen, denn ohne ihn, können sie seine Familie schließlich nicht zurück nach Bosnien schicken, oder?

Kritik

In Vielleicht dürfen wir bleiben beschreibt Ingeborg Kringeland Hald aus der Sicht eines unschuldigen, kleinen Jungen auf sehr eindrückliche und anschauliche Weise die traumatischen Ereignisse, die dieser während des Krieges und der darauffolgenden Flucht aus seinem Land miterleben musste.

Abwechselnd beleuchtet die Autorin sowohl die Gegenwart, in der Albin mittlerweile elf Jahre alt ist und seit mehreren Jahren mit seiner Familie in Norwegen lebt, als auch die Geschehnisse fünf Jahre zuvor, also ihre Flucht aus Bosnien, nachdem sein Vater vor seinen Augen von einem Soldaten erschossen wurde. Als Erwachsener ahnt man sofort, dass Albins Vater tot ist, man kann nur nicht fassen, dass das gerade tatsächlich passiert ist. Albin ist hingegen noch zu jung, um die Situation selbst richtig zu erfassen und begreift erst, was geschehen ist, als seine Mutter es ihm sagt. Ebenso wenig versteht er anfangs, warum sie nicht einfach nach Hause zurückkehren können.

Was Albins Familie und andere Flüchtlinge in dieser Zeit durchleben ist unvorstellbar schrecklich und zutiefst schockierend. Obwohl einem natürlich schon vorher bewusst war, wie beschwerlich eine solche Flucht ist, hätte man nie mit so viel Grausamkeit gerechnet. Das Verhalten einiger Menschen, deren Aufgabe es eigentlich wäre anderen zu helfen, ist nicht nur absolut unverständlich, sondern überaus verabscheuungswürdig. Was später in einem der Flüchtlingslager geschieht, scheint sogar beinahe noch schlimmer zu sein. Wie kann jemand so unbarmherzig und gefühlskalt sein? Männer und Frauen werden getrennt, Familien auseinander gerissen. Manche werden erniedrigt und gedemütigt, es ist einfach ungeheuerlich. Ob diese Schilderungen auf echten Erlebnissen beruhen, wird nicht ausdrücklich erwähnt – man mag es sich kaum vorstellen.

Ingeborg Kringeland Hald zeigt demzufolge schonungslos, was Geflüchtete durchmachen, ehe sie in einem anderen, bestenfalls friedlicheren Land ankommen und dass man ihnen Freundlichkeit und Verständnis entgegen bringen sollte, nicht Ablehnung und Misstrauen. Oftmals haben diese Menschen unbeschreibliches Leid erlitten und alles verloren. Wer sich selbst so glücklich schätzen kann nie einen Krieg erlebt zu haben, wird das wohl nie richtig nachvollziehen können. Umso wichtiger ist es nicht aus den Augen zu verlieren, dass eben nicht jeder so viel Glück hat.

In Norwegen hat die Familie nach all den Torturen ein neues Zuhause gefunden, in dem sie sich sicher und geborgen fühlen. Dementsprechend bricht für Albin – ein weiteres Mal – seine Welt zusammen, als sie plötzlich zurück nach Bosnien geschickt werden sollen. Verständlicherweise will er nicht schon wieder von jetzt auf gleich sein Zuhause und seine gewohnte Umgebung verlieren. In der Hoffnung, dass man seine Mutter und seine Schwestern ohne ihn nicht abschieben kann und sie somit im Land bleiben können, läuft er deshalb weg.

Er versteckt sich erst im Kofferraum eines fremden Autos und schlägt sich anschließend ein paar Tage allein durch, was für einen so kleinen Jungen alles andere als leicht ist, insbesondere angesichts der niedrigen Temperaturen. Bevor er letztlich doch gefunden wird – zum Glück, muss man fast sagen, weil er sonst womöglich erfroren wäre – wird er von zwei jungen, norwegischen Schwestern entdeckt, die ihm dann sogar helfen. Das Ende ist insgesamt allerdings sehr offen gehalten, die Zukunft von Albin und seiner Familie ist ziemlich ungewiss. Für den Moment wurde eine Lösung gefunden, ansonsten kann man nur das Beste hoffen.

Hervorzuheben ist darüber hinaus, dass die Autorin durch diesen Roman auf wichtige, geschichtliche Ereignisse aufmerksam macht, die nicht in Vergessenheit geraten dürfen, damit sich so etwas nicht wiederholt. Abhängig vom Alter bzw. Geburtsjahr des Lesers weiß man mehr oder weniger über die wahren Begebenheiten des Bosnienkrieges, der in diesem Buch eine Rolle spielt. Die Lektüre führt daher gegebenenfalls dazu, dass man sich im Nachhinein eingehender über gewisse Ereignisse informiert. So spielt die Autorin unter anderem auf das Massaker von Srebrenica an, von dem man unter Umständen noch nie etwas gehört hat, obgleich es als das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Ende des zweiten Weltkrieges gilt. Wie kann es sein, dass ein Völkermord an mehr als 8.000 Bosniaken im Juli 1995 vergleichsweise unbekannt ist?

Der Schreibstil von Ingeborg Kringeland Hald zeichnet sich durch eine leicht verständliche und kindgerechte Sprache aus, ist jedoch auch für Erwachsene angenehm zu lesen, da er nicht nur aus kurzen, abgehackten Sätzen besteht. Das Buch hat nur etwas über 100 Seiten und ist somit schnell gelesen, aufgrund der ernsten und berührenden Thematik aber trotzdem keine leichte Lektüre und eine, die auf jeden Fall länger im Gedächtnis bleiben wird.

Fazit

Vielleicht dürfen wir bleiben ist ein kurzes, aber sehr bewegendes Kinderbuch, das sich mit einer wichtigen, nach wie vor aktuellen Thematik beschäftigt und zugleich wahre, geschichtliche Begebenheiten näher beleuchtet, über die man erschreckenderweise womöglich so gut wie nichts weiß.





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