Autorin: Jessi Kirby
Originaltitel: The Other Side of Lost
Erstveröffentlichung: 2018
Übersetzerin: Anne Brauner
Wissenswertes
Offline ist es nass, wenn’s regnet ist das sechste Jugendbuch der us-amerikanischen Autorin Jessi Kirby, die als Englischlehrerin und Bibliothekarin arbeitete, ehe sie selbst Schriftstellerin wurde. Sie lebt mit ihrer Familie in Kalifornien, wo sie immer wieder von den Bergen und Stränden inspiriert wird. Mittlerweile wurden ihre Romane in mehr als zwanzig Ländern veröffentlicht.
Inhalt
Kritik
Der Einstieg in das Buch gestaltet sich zunächst etwas schwierig, weil es eine Weile dauert, bei man sich mit der Protagonistin Mari anfreundet. Anfangs kann man sich überhaupt noch nicht mit ihr identifizieren, da scheinbar ihr ganzes Leben oberflächlich und „fake“ ist, einschließlich ihrer angeblichen Beziehung. Ihr Verhalten in Bezug auf Social Media, insbesondere Instagram, hat schon regelrecht krankhafte Züge angenommen und man ist mehr als froh darüber, dass man selbst nicht annähernd so abhängig von der Anerkennung fremder Menschen in Form von Likes oder Ähnlichem ist wie sie.
Sollte das nicht der Fall sein, würde den entsprechenden Lesern ein solcher „Digital Detox“ sicher ebenso guttun wie Mari. Eine Handvoll echter Freunde im realen Leben sind tausenden Followern, die einen nicht wirklich kennen, nämlich definitiv vorzuziehen. Dass Mari eine vollkommen gesunde, kalorienarme Mahlzeit erst lange hübsch arrangiert und photographiert, dann aber unangetastet wegwirft, weil sie später noch ein Video aufnehmen und vorher nichts essen will, setzt dem ganzen noch die Krone auf – man selbst schwankt zwischen völligem Unverständnis und blanker Empörung.
Darüber hinaus wirkt Mari während der ersten Kapitel sehr gefühlsarm, denn der kürzliche Tod ihrer gleichaltrigen Cousine scheint sie kalt zu lassen oder jedenfalls nicht sonderlich hart zu treffen. Dieser Eindruck wandelt sich jedoch entscheidend als Mari schlagartig ihr ganzes Leben auf den Kopf stellt bzw. sowohl ihr Leben als auch sich selbst verändert. Als sie anfängt sich wieder den echten und wichtigen Dingen im Leben zuzuwenden, wird sie einem fortwährend sympathischer und man schließt sie mehr und mehr ins Herz. Man fiebert mit ihr mit und begleitet sie unheimlich gern auf der beschwerlichen Wanderung auf dem John Muir Trail, bei der sie endlich ihre Gefühle und vor allem die Trauer um ihre Cousine Bri zulässt. Diese Veränderung führt gleichzeitig dazu, dass einem das Buch immer besser gefällt, bis man es schließlich gar nicht mehr aus der Hand legen mag.
Das ist außerdem auch dem tollen, malerischen Schreibstil von Jessi Kirby zu verdanken, deren Beschreibungen sogar die besondere Atmosphäre im Yosemite Nationalpark sehr gut einfangen. Das einzigartige Erlebnis dieser langen Wanderung wird überaus anschaulich beschrieben, sowohl hinsichtlich der wunderschönen Aussicht und der Besonderheiten der Natur als auch im Hinblick auf die damit einhergehenden körperlichen Anstrengungen sowie die Gefahren, die unterwegs lauern. Letztere werden zum Teil allerdings zu sehr heruntergespielt bzw. der Trail als zu leicht dargestellt. Bri ist trotz ihrer Erfahrung beim Training für diese Wanderung verunglückt, Mari ist dagegen vollkommen unerfahren, bewältigt mit ein bisschen Hilfe aber dennoch einen nicht unerheblichen Teil des Trails allein. Einmal entkommt sie sogar nur knapp dem Tod, das scheint sie jedoch nicht nachhaltig zu beeindrucken oder zu beunruhigen. Insofern ist ihre abgeklärte Reaktion keineswegs nachvollziehbar und wirkt ziemlich unrealistisch.
Insgesamt bewundert man die Protagonistin aber für den gewagten Schritt die Wanderung an Stelle von Bri anzutreten, wodurch sie am Ende nicht nur ihrer Cousine wieder näher kommt, sondern ebenso zu sich selbst findet. Zu Beginn hätte man Mari nicht zugetraut, dass sie diese Strapazen so lange durchhält und nicht bei der ersten Hürde gleich wieder aufgibt. Stattdessen wächst sie im Verlauf der Wanderung über sich hinaus und verarbeitet dabei zudem langsam ihren Verlust. Hierbei helfen ihr letztendlich auch die gelegentlichen persönlichen Aufzeichnungen und Briefe ihrer Cousine, die durch eine besondere Gestaltung hervorgehoben werden. Es rührt einen zutiefst, wenn Mari meint Bri draußen in der Natur spüren zu können – in einer sanften Brise oder einer nächtlichen Sternschnuppe – und sie bereut die damals von ihr selbst verursachte Entfremdung von Bri sehr. Als junger Mensch glaubt man immer, man hätte für alles noch so viel Zeit, doch das Leben kann schneller vorbei sein als gedacht. Jeder Augenblick ist kostbar, daher sollte man das Leben stets in vollen Zügen genießen, genauso wie Bri es getan hat und wie Mari es von nun an tun will.
Unterwegs trifft Mari irgendwann auf eine Gruppe gleichaltriger Wanderer, bestehend aus Josh, Beau, Colin, Vanessa und Jack, die man alle sehr schnell lieb gewinnt. Vor allem abends genießt Mari ihre Gesellschaft und fühlt sich dank ihnen nicht mehr so einsam, kann tagsüber aber trotzdem mit ihren Gedanken allein sein, wenn sie das will. Die gesamte Truppe ist freundlich, aufgeschlossen und hilfsbereit und als Leser freut man sich mit ihnen, wenn sie einen besonders schwierigen Abschnitt hinter sich gebracht haben. Zwischen Josh und Mari funkt es später sogar ein bisschen, der Beginn ihrer zarten Liebesgeschichte drängt sich jedoch nie in den Vordergrund, denn für beide steht erst einmal die Wanderung im Fokus. Leider traut sich Mari aus Scham zunächst nicht den anderen die Wahrheit über den Auslöser für ihre spontane Wanderung zu verraten, dabei hat im Grunde jeder von ihnen sein Päckchen zu tragen.
Die Handlung ist nur selten wirklich spannend, allerdings durchgängig fesselnd, insbesondere wegen der faszinierenden Wanderung. Man begleitet die Figuren unheimlich bei diesem beeindruckenden Vorhaben, sogar wenn man selbst nicht viel fürs Wandern übrig hat oder sich nicht vorstellen kann selbst jemals eine solche Wanderung zu machen. Das Ende ist dagegen sehr offen gehalten und überrascht einen regelrecht, denn es erwartet den Leser an einer unerwarteten, aber dennoch irgendwie passenden Stelle. Über einen abschließenden Epilog hätte man sich sehr gefreut, stattdessen muss man mit den eigenen Spekulationen vorliebnehmen. Zu gern hätte man außerdem gewusst, wie Maris Mutter eigentlich auf den Entschluss ihrer Tochter reagiert; da Mari ihre Nachrichten konsequent ignoriert, erfährt man das jedoch leider nicht.
Zum Schluss folgt noch ein bewegendes, sehr persönliches Nachwort der Autorin über die Entstehung des Buches und wie das Projekt im späteren Verlauf durch Ereignisse in ihrem eigenen Leben stark beeinflusst wurde.
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