[Rezension] Kebabweihnacht

26. Dezember 2018 | 20:45 | Gelesen

Titel: Kebabweihnacht
Autorin: Lale Akgün
Originaltitel: Kebabweihnacht
Erstveröffentlichung: 2011
Übersetzer: Originalsprache


Wissenswertes

Kebabweihnacht ist eine Novelle der türkisch-deutschen Psychologin und SPD-Politikerin Lale Akgün, die 1953 in Istanbul geboren wurde, 1962 im Alter von neun Jahren mit ihrer Familie nach Deutschland auswanderte und 1980 die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen hat. Von 2002 bis 2009 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages, 2012 wurde sie für ihr Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Seit 2013 leitet sie die Kompetenzstelle für nachhaltige und faire Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen in NRW.

Inhalt

Umut ist zwar ein türkischer Junge und Moslem, doch er liebt Weihnachten und alles, was damit zu tun hat. Er ist daher hellauf begeistert, als er in der Weihnachtsabteilung des Kaufhauses, in dem er seine Ausbildung absolviert, eingesetzt wird und sogar an Heiligabend arbeiten kann. Zu Hause darf er seiner Liebe zu diesem Fest nämlich schon seit Jahren keinen Ausdruck mehr verleihen, denn seinem Vater ist dieser christliche Brauch ein Dorn im Auge. Seit dieser regelmäßig eine bestimmte Moschee besucht, hält er so gut wie alles für eine Sünde und sieht in allem nur noch das Schlechte. Also beschließt Umut heimlich sein eigenes Weihnachtsfest zu feiern, was schließlich zu einem Heiligabend führt, der auch seinem Vater gewaltig zu denken gibt …

Kritik

Mit Kebabweihnacht hat Lale Akgün eine ganz wundervolle, moderne Weihnachtsgeschichte geschrieben, die wahrlich zu Herzen geht und einem noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Aber nicht nur Weihnachten steht darin im Mittelpunkt, auch so wichtige Themen wie Toleranz, Gelassenheit und Nächstenliebe spielen eine große Rolle. Darüber hinaus räumt das Buch mit einigen Vorurteilen auf, beleuchtet Probleme sowie deren Ursachen und bietet zugleich mögliche Lösungen dafür an.

Das Buch gewährt einen interessanten Einblick in das Leben einer türkischen Familie aus einer etwas anderen Perspektive. Obwohl der Islam als Religion im Vordergrund steht, ist das Buch für jeden Leser geeignet, unabhängig von irgendeiner Glaubensrichtung. Es richtet sich also an alle Menschen gleichermaßen, die Handlung ist allgemeingültig und lässt sich im Grunde problemlos auf andere Religionen übertragen. Das Thema ist nach wie vor sehr aktuell, wenngleich das Buch bereits vor sieben Jahren erschienen ist.

Die Handlung wird von einem auktorialen Erzähler geschildert, der den Leser durch die Geschichte führt, ihn gelegentlich sogar direkt anspricht, und nicht auf die Sichtweise einer der Figuren beschränkt ist. Stattdessen werden die Gedanken, Motive und Gefühle aller Charaktere näher beleuchtet, was wichtig ist, um die Hintergründe dieses muslimischen Weihnachtswunders vollumfänglich nachvollziehen zu können. Die inneren Vorgänge, also warum jemand schweigt oder sich auf diese oder jene Weise verhält, sind äußerlich nicht unbedingt erkennbar, es ist jedoch notwendig diese zu kennen, um die Charaktere zu verstehen.

Im Zentrum der Geschichte steht eine vierköpfige türkische Familie, deren Mitglieder alle sehr unterschiedliche Ansichten vertreten. Einige tun dies sehr lautstark, andere behalten ihren Standpunkt, zumindest anfangs, eher für sich. Der 17-jährige Umut ist ein richtiger Weihnachtsjunkie, aber macht ihn das gleich zu einem schlechten Moslem?

Sein Vater Arif scheint das zu denken, wobei das Wort „denken“ mit Vorsicht zu genießen ist, denn statt sich selbst eine eigene Meinung zu bilden, plappert er lediglich alles nach, was der in der Nachbarschaft für seine radikalen Anschauungen bekannte Imam von sich gibt, ohne diese jemals zu hinterfragen, obschon gewisse Widersprüche unverkennbar sind. Früher war Arif wesentlich toleranter, erst durch diesen ganz bestimmten Imam wurde er immer starrköpfiger.

Seine Familie schweigt oftmals, wenn er die Worte des Imams widergibt und loswettert, was Arif fälschlicherweise als Zustimmung oder wenigstens Akzeptanz deutet, dabei ist in Wahrheit weder das eine noch das andere der Fall. Vielmehr schweigen seine Frau und seine Kinder um des lieben Friedens willen, um Streit zu vermeiden und schlicht aus Bequemlichkeit, was sie am Ende allesamt bereuen.

Umuts ältere Schwester Ayla redet dem Vater nach dem Mund, um ihn bei Laune zu halten und Probleme zu vermeiden. Sie heuchelt Zustimmung vor und trägt freiwillig ein Kopftuch, allerdings nicht etwa aus religiösen Gründen, sondern um sich andere Freiheiten zu erhalten und nicht kontrolliert zu werden, während sie hinter dem Rücken ihres Vaters im Prinzip macht, was sie will, was durchaus auch Männerbekanntschaften einschließt.

Umuts Mutter Hülya ist, anders als vielleicht erwartet, gebildeter als ihr Mann und hatte sich von der Ehe und dem gemeinsamen Umzug nach Deutschland ein ganz anders Leben versprochen. Sie wollte studieren und vielleicht sogar promovieren, doch ihre Träume wurden leider nicht wahr, weshalb sie ihre Entscheidung später bitter bereut hat. Sie teilt die Ansichten ihres Mannes nicht und hat nur so lange geschwiegen, um ihren Kindern ein harmonisches Elternhaus vorzuleben.

Dementsprechend ist es eine große Überraschung für die gesamte Familie, als Hülya ihrem Mann endlich einmal so richtig die Meinung geigt und ihn zurechtweist, was längst überfällig war. Es bringt ihr nicht nur den Respekt ihrer Tochter zurück, die ihrer Mutter ein solch starkes Auftreten niemals zugetraut hätte, es veranlasst überdies ihren Sohn dazu sich ihr anzuvertrauen.

Im Verlauf der Handlung wird mehrfach deutlich, dass der Imam völligen Unsinn erzählt, der weder Hand noch Fuß hat. Dabei ist es jedoch wichtig zu betonen, dass es nur um diesen einen ganz bestimmten Imam geht. Diese Tatsache wird nicht verallgemeinert oder auf alle Imame bezogen und auch der Islam als solcher wird nicht generell kritisiert. Es geht vielmehr um die Auslegung und die Frage, wie man diese Religion ausleben sollte oder was sie tatsächlich verbietet. Es werden also lediglich gewisse Interpretationen in Frage gestellt und konkrete, stark einschränkende Einsichten abgelehnt.

Des Weiteren geht es nicht nur um die Bedeutung von Weihnachten, die für jeden anders sein kann, sondern darüber hinaus um die Frage, was man unter Heimat versteht. Umut betrachtet, im Unterschied zu seinem Vater, Deutschland als seine Heimat und nicht die Türkei, in der die Familie allenfalls Urlaub macht, aber nicht dauerhaft lebt.

Erwähnenswert sind zudem noch die Rohowskys, das wunderbare und unheimlich liebenswürdige benachbarte Ehepaar von Umuts Familie. Sie hatten von Beginn an viel Verständnis für ihre türkischen Nachbarn, da sie selbst damals als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, und mit ihren Nikolaus-Überraschungen hat Umuts Weihnachtsliebe vielleicht ihren Anfang genommen.

Das Ende der Novelle ist der Autorin ebenfalls sehr gut gelungen und vermittelt eine tolle, nach wie vor gültige Botschaft. Der Erzähler überlässt es am Schluss zwar ausdrücklich dem Leser das Gelesene zu interpretieren und seine eigenen Lehren daraus zu ziehen, es ist jedoch ziemlich eindeutig, in welche Richtung er tendiert. Lale Akgün wirbt mit ihrer besonderen Geschichte nämlich nicht nur für mehr Toleranz, sondern auch für eigenständiges Denken. Es ist stets falsch, den eigenen Verstand einfach auszuschalten und sinnloser Hass macht einen blind für die Dinge, die wirklich wichtig sind. Insofern wird das Buch vermutlich immer lesenswert bleiben und seine Botschaft sogar in fünfzig Jahren nicht veraltet sein.

Fazit

Kebabweihnacht ist eine großartige, weihnachtliche Novelle, die zwar schnell gelesen ist, da sie nicht nur fesselnd, sondern auch relativ kurz ist, der man aber dennoch nicht vorwerfen kann oberflächlich zu sein. Vielmehr vermittelt sie eine ausgesprochen wichtige Botschaft, die niemals an Gültigkeit verlieren wird, und regt außerdem zum Nachdenken an.





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