Autorin: Debora Zachariasse
Originaltitel: Het Fluisterboek
Erstveröffentlichung: 2009
Übersetzerin: Eva Schweikart
Wissenswertes
Die 1961 in Vlissingen geborene Autorin schrieb schon als Kind ihre ersten Geschichten. Zum Beruf hat sie dieses Hobby aber erst viel später gemacht, nachdem sie schon viele Jahre als Apothekerin gearbeitet hatte.
Beim Schreiben beschäftigen sie vor allem Fragen, wie „Was wäre, wenn …?“, „Wie reagiert jemand auf …?“ oder „Warum tun Menschen, was sie tun?“.
Inhalt
Doch dann trifft sie Tibby, das neue Mädchen in der Klasse, welches sie noch aus dem Kindergarten kennt, und ihre ganze Welt steht auf dem Kopf. Zunächst beneidet sie ihre neue Freundin für alles, was es in Annas Welt nicht gibt: ein gemütliches Chaos, ein nicht akkurat bepflanzter, sondern wild blühender Garten, Haustiere, Wäsche, die draußen auf der Leine im Wind flattert und nicht einfach nur aus dem Trockner kommt. Anna würde am liebsten mit Tibby tauschen, während diese überhaupt nicht glücklich mit ihrem Leben zu sein scheint.
Anfangs kann Anna das nicht nachvollziehen, doch mit der Zeit bemerkt sie die Schattenseiten in Tibbys Leben. Tibby ist häufig allein zu Hause, der Kühlschrank ist oft leer, sie hat keine Schulbücher, ihr Fahrrad ist andauernd kaputt und im Winter muss sie frieren, weil der Ofen in dem alten, baufälligen Haus kaputt ist, aber niemand eine Reparatur bezahlten kann. Anna möchte Tibby unbedingt helfen, doch dazu müsste Tibby sich auch von ihr helfen lassen …
Kritik
Aber nicht nur die ernsthafte Thematik macht dieses Buch zu etwas besonderem, sondern auch die Art und Weise, wie es erzählt wird. Debora Zachariasse wählt dazu zwei verschiedene Perspektive, die allerdings beide der Protagonistin zuzurechnen sind: Einmal Anna, wie sie die Geschichte von Anfang an erzählt, mit den Gedanken und Gefühlen, die sie zu jener Zeit hatte, und einmal Anna, wie sie das erlebte gerade aufschreibt und wie sie nun, im Nachhinein, darüber denkt und fühlt. Dadurch erhält man einen umfassenden Einblick in die Gefühlswelt sowohl der Anna von damals als auch der Anna von heute, die nun versucht das Geschehene zu verarbeiten. Vor allem ihre gegenwärtige Perspektive ist geprägt von ihren Schuldgefühlen und den Vorwürfen, die sie sich selbst macht. Immer wieder fragt sie sich, ob sie es hätte verhindern können.
Diese Gefühle kann man als Leser sehr gut nachvollziehen, möchte Anna gleichzeitig aber am liebsten ihre Schuld abnehmen und ihr klar machen, dass sie es nicht hätte verhindern können.
Anna und Tibby sind zwei grundverschiedene Charaktere, das merkt man von Beginn an. Das liegt aber nicht nur an den unterschiedlichen sozialen Schichten, aus denen sie stammen.
Anna ist ziemlich sorglos und vielleicht auch ein wenig verwöhnt. Sie muss sich nie ernsthaft um etwas Sorgen machen und hat schon immer alles bekommen, was sie wollte, ohne groß darüber nachzudenken. Das gleiche gilt auch für all ihre Freundinnen, weshalb es zwischen ihnen meistens nur um so belanglose Themen wie den aktuellen Schwarm geht.
Tibbys Leben war im Gegensatz dazu noch nie besonders leicht. Sie muss sich mit ihren Eltern irgendwie durchschlagen, bekommt kein Taschengeld, muss sich manchmal ganz allein um den Haushalt kümmern und hat dazu noch große Probleme in der Schule, weil ihre Eltern ihr nicht einmal die nötigen Schulbücher kaufen können. Mal abgesehen davon, dass diese ihre Tochter sowieso ziemlich vernachlässigen.
Während Anna Tibby um ihre vielen Freiheiten und das liebenswerte Chaos beneidet, hätte Tibby lieber die (finanzielle) Sicherheit, die Annas Eltern ihrer Familie bieten. Erst durch ihre Freundschaft mit Tibby lernt Anna solche Probleme überhaupt kennen. Es dauert lange bis sie begreift, dass Tibby nicht etwa zu faul ist sich einen neuen Reifen für ihr Fahrrad zu kaufen, sondern dass sie ihn sich einfach nicht leisten kann, egal wie wenig er in ihren Augen kostet.
Anfangs hat man als Leser großes Mitgefühl für die arme Tibby und sie tut einem richtig leid. Später macht sie ihre äußerst egoistische Art aber sehr unsympathisch. Statt sich von Anna beim Lernen helfen zu lassen, verlangt sie von ihrer Freundin sie bei Klassenarbeiten abschreiben zu lassen, ungeachtet der Konsequenzen, die das für Anna haben könnte, nämlich einen Schulverweis. Was mit Anna geschieht scheint ihr irgendwann völlig egal zu sein und sie erpresst sie sogar mit ihrer Freundschaft, sodass es einem sehr schwer fällt noch mit Tibby mitzufühlen. Man kann Anna daher keinen Vorwurf machen, dass auch sie sich irgendwann etwas von Tibby distanziert, und zwar wegen ihres Verhaltens und nicht etwa, weil sie arm ist.
Obwohl man von Anfang an ahnt oder sogar weiß, dass etwas Furchtbares passieren wird, trifft es einen trotzdem völlig unerwartet, als es dann tatsächlich dazu kommt. Man ist schockiert, betroffen und kann nicht verhindern, dass schließlich ein paar Tränen kullern.
Kritikwürdig an diesem mitreißenden Roman ist allein der Schreibstil. Dieser bzw. die Wortwahl ist an manchen Stellen etwas gewöhnungsbedürftig, z.B. wenn von „Blauaugen“ die Rede ist statt von blauen Augen.
Andere Momente sorgen ein paar Mal für Verwirrung beim Leser. Anna beschreibt mehrmals aus der Ich-Perspektive ihre Gedanken und betont dabei noch, dass sie diese aber natürlich nicht laut gesagt hätte. Trotzdem reagieren die anderen Figuren aber direkt darauf. Wenn diese keine Gedanken lesen können, muss sie es also doch laut geäußert haben. Belügt sie sich also selbst? Oder den Leser? Obwohl das mehr als einmal vorkommt, kann man aber insgesamt darüber hinwegsehen, da die Handlung das mehr als wieder gut macht.
Fraglich ist am Schluss eigentlich nur, warum man das Buch Flüsterherz genannt hat und nicht bei Flüsterbuch geblieben ist, was viel besser zu der Geschichte passen würde, da Anna diese letztlich darin niederschreibt.
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