[Rezension] Die Tribute von Panem X

25. Juli 2020 | 18:05 | Gelesen

Titel: Die Tribute von Panem X – Das Lied von Vogel und Schlange
Autorin: Suzanne Collins
Originaltitel: The Ballad of Songbirds and Snakes
Erstveröffentlichung: 2020
Übersetzer: Sylke Hachmeister, Peter Klöss


Wissenswertes

Die Tribute von Panem X – Das Lied von Vogel und Schlange ist der neueste Roman der us-amerikanischen Bestseller-Autorin Suzanne Collins, die ihre Karriere als Autorin für das amerikanische Kinderfernsehen begann, ehe sie anfing Bücher zu schreiben. Weltweite Bekanntheit erlangte sie mit der Trilogie Die Tribute von Panem, die weltweit über 100 Millionen Mal verkauft und überaus erfolgreich verfilmt wurde.

Die Tribute von Panem X – Das Lied von Vogel und Schlange ist zudem ein Prequel zu Die Tribute von Panem, das 64 Jahre vor dem ersten Band der Trilogie spielt und von Coriolanus Snow handelt, den man aus der Trilogie als Präsident Snow kennt.

Inhalt

Um das Geschehen in der Arena interessanter zu gestalten und mehr Bürger des Kapitols vor die Bildschirme zu locken, wurde beschlossen den Tributen der zehnten Hungerspiele die besten Schüler der Akademie als Mentoren zur Seite zu stellen. Coriolanus Snow sieht darin nicht nur eine Chance Ruhm und Ehre zu erlangen, sondern auch einen Weg einem der begehrten Stipendien für die Universität einen Schritt näher zu kommen. Denn obwohl der Name Snow immer noch hochangesehen ist, reichen die monetären Mittel der Familie längst nicht mehr aus, um Coriolanus ein Studium zu finanzieren. Doch statt eines vielversprechenden Tributs aus Distrikt 1 oder 2, aus denen in der Vergangenheit die meisten Sieger stammten, wird ihm am Tag der Ernte ausgerechnet Lucy Gray, der weibliche Tribut aus Distrikt 12, zugeteilt …

Kritik

Die Tribute von Panem X – Das Lied von Vogel und Schlange ist ein interessantes Prequel, dem man seit der ersten Ankündigung gespannt entgegen fieberte, das den Leser am Ende aber leider eher zwiegespalten zurücklässt und nicht gänzlich zu überzeugen vermag.

Coriolanus Snow, den man aus der zeitlich mehrere Jahrzehnte später spielenden Trilogie als Präsident Snow kennt, ist – schon in seiner Jugend – durch und durch ein Narzisst, dessen ganze Welt sich ausschließlich um ihn dreht. Er ist unfassbar arrogant, herablassend und selbstbezogen. Er denkt stets zuerst an seinen eigenen Vorteil und stellt seine eigenen Interessen sogar über das Leben anderer Menschen. Er ist ein Soziopath, der Liebe für eine Schwäche hält und selbst gar nicht fähig ist zu lieben – auch wenn er tatsächlich das Gegenteil zu glauben scheint – weil er gar nicht weiß, was Liebe überhaupt ist. Coriolanus Snow ist davon überzeugt, dass ihm gewisse Privilegien von Geburt an zustünden, während die Menschen aus den Distrikten – zu Recht – weit unter ihm stünden und es verdienten im Elend zu leben. Er ist uneinsichtig, berechnend und skrupellos, obgleich er versucht sich selbst zu belügen und seine Taten mit fadenscheinigen Ausreden zu rechtfertigen.

Aufgrund dieser verzerrten Sicht auf die Welt, die er wahrhaftig zu retten glaubt, fällt es einem nicht nur schwer sich mit ihm zu identifizieren, es ist nahezu unmöglich. Jedes Mitgefühl, das man zu Beginn unter Umständen für ihn entwickelt, da er sich durchaus in einer schwierigen Lage befindet, macht er mit seinen Ansichten und seiner Einstellung innerhalb kürzester Zeit wieder zunichte, sodass man vor allem Abscheu und Verachtung für ihn empfindet. Wesentlich faszinierender wäre die Geschichte gewesen, wenn es Suzanne Collins gelungen wäre dem Leser wenigstens zu Beginn einen Protagonisten zu präsentieren, der mit dem späteren Präsidenten Panems kaum etwas gemeinsam hat und der einem zumindest ein wenig ans Herz wächst, sodass man sich wirklich fragt, welche einschneidenden Erlebnisse den Jungen von damals zu einem gewissenlosen Tyrannen werden ließen.

Noch abgestoßener ist man lediglich von der wahrlich Furcht erregendem Dr. Gaul, der Obersten Spielmacherin. Sie ist ebenfalls eine Soziopathin, wie sie im Buche steht, was sie natürlich noch gefährlicher und unberechenbarer macht. Sie schreckt offenbar vor nichts zurück und spielt nach Belieben mit dem Leben anderer – unabhängig von deren Herkunft.

Generell gibt es im Kapitol nur wenige Charaktere, die man ernsthaft als sympathisch bezeichnen könnte, denn zahlreiche Bewohner, darunter auch einige von Snows Mitschülern, teilen seine schlechten Eigenschaften. Die wenigen Ausnahmen bilden Coriolanus‘ Cousine Tigris, über die man insgesamt aber leider nicht allzu viel erfährt, sowie sein Mitschüler Sejanus. Letzterer ist in einem der Distrikte aufgewachsen, lebt nun jedoch im Kapitol, da es seinem Vater gelungen ist aus dem Krieg Kapital zu schlagen. Das ist vermutlich der Grund dafür, dass er als einziger zu Empathie fähig zu sein scheint und sich traut offen auszusprechen, wie krank das ganze Konzept der Hungerspiele eigentlich ist. Unglücklicherweise wird genau diese Offenheit ihm irgendwann zum Verhängnis, denn so etwas wie Meinungsfreiheit gibt es im Kapitol natürlich nicht.

Die musikalische Lucy Gray hingegen ist eine Figur, die man bis zum Schluss nicht richtig einzuordnen vermag. Sie ist keineswegs vollkommen naiv und unbedarft, sondern ziemlich clever und gerissen. Sie versteht es durchaus sich in Szene zu setzen und ein Publikum für sich zu gewinnen, scheint aber nicht annähernd so manipulativ zu sein wie ihr Mentor. Sie hat keine Freude daran anderen Menschen Leid zuzufügen, gibt sich in der Arena jedoch nicht so leicht geschlagen und tut, was sie tun muss, um zu überleben.

Durch die Zuteilung als Mentor und Tribut ist das Schicksal von Coriolanus und Lucy Gray in gewisser Hinsicht ohnehin untrennbar miteinander verbunden. Die Autorin intensiviert diese Verbindung allerdings noch einmal und versucht dem Roman mit einer Liebesbeziehung zwischen Coriolanus und Lucy Gray etwas Romantik hinzuzufügen. Doch der Aufrichtigkeit dieser Gefühle begegnet man als Leser auf beiden Seiten mit großer Skepsis; bei Snow, weil er zu solchen Emotionen, wie gesagt, nicht fähig ist; bei Lucy Gray, weil man sich nicht vorstellen kann, dass sie Coriolanus wirklich nicht durchschaut und sich daher die ganze Zeit fragt, ob sie ihn nicht vielleicht ebenfalls nur für ihre Zwecke benutzt.

Wesentlich interessanter als diese Liebesgeschichte, mit der man aus den vorgenannten Gründen nicht richtig mitfiebern kann, sind die Hintergrundinformationen über die Vergangenheit von Panem, die man im Verlauf der Handlung erhält. Welche Auswirkungen der Krieg auf die Bewohner des Kapitols hatte und dass längst nicht jeder dort die ganze Zeit über im Wohlstand lebte, dürfte zum Beispiel eine neue Erkenntnis sein, ebenso wie der Umstand, dass zahlreiche Friedenswächter nicht etwa aus dem Kapitol, sondern aus den Distrikten stammen. Aufschlussreich ist zudem die Entwicklung der Hungerspiele, die anhand des Vergleiches zwischen der zehnten Austragung und den Arenen zu Katniss‘ Zeiten deutlich wird. Aus der einstigen Bestrafung der Distrikte, die zwar jeder kannte, über die Ernte hinaus aber kaum verfolgte, wurde erst später das aufwendige, mediale Spektakel, das den Massen als Unterhaltung dient.

Die Handlung ist durchgängig fesselnd, doch nicht so spannend, wie man es vielleicht von der Autorin gewohnt ist. Für ein wenig Nervenkitzel sorgen zwischendurch allenfalls die verschiedenen Vorfälle in der Arena, danach flacht die Spannungskurve ziemlich ab und nimmt auch später nicht mehr drastisch zu. Langeweile kommt dank einiger Überraschungen und ungeahnter Wendungen zwar nicht auf, sodass man das Buch trotzdem gern weiterliest, vor allem im dritten Abschnitt plätschert die Handlung aber schließlich ohne spürbaren Höhepunkt nur noch so vor sich hin.

Bis dahin war diese Vorgeschichte vielleicht kein Highlight, jedoch immerhin eine lesenswerte Ergänzung zur Trilogie. Das Ende ist allerdings in vielfacher Hinsicht so enttäuschend, dass es sich zwangsläufig negativ auf die Bewertung auswirkt. Mit einem Happy End für Coriolanus und Lucy Gray wird niemand rechnen, der Die Tribute von Panem gelesen oder auch nur die Filme gesehen hat, doch die – absolut nicht nachvollziehbare – Entwicklung der Liebesgeschichte bzw. die Art und Weise, wie sie ihr Ende findet, ist mehr als unbefriedigend. Das Schicksal einer bestimmten Figur wird darüber hinaus viel zu offen gehalten, der Tod einer anderen viel zu „unkompliziert“ gestaltet, wenn man es so ausdrücken kann. Insgesamt wirkt das Ende platt, überstürzt und irgendwie unausgereift. Die Botschaft, die in Bezug auf Coriolanus und sein Verhalten damit vermittelt wird, ist mehr als fragwürdig und sorgt für einen sehr bitteren Beigeschmack. Außerdem lässt es die erhoffte Entwicklung des Protagonisten vermissen, der am Schluss einfach nur der gleiche verachtenswerte Mann ist wie zu Beginn.

Fazit

Für Fans der Trilogie um Katniss, Peeta und Gale ist Die Tribute von Panem X – Das Lied von Vogel und Schlange mit Sicherheit lesenswert, zumal man darin diverse Anspielungen auf die Reihe entdecken kann. Genauso zu begeistern vermag einen die Vorgeschichte um Coriolanus Snow jedoch – insbesondere wegen des ziemlich enttäuschenden Ausgangs – keinesfalls.





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