[Rezension] Kissing Lessons (Hörbuch)

21. Mai 2020 | 19:15 | Gehört

Titel: Kissing Lessons
Autorin: Helen Hoang
Übersetzerin: Anita Nirschl
Sprecherin: Christiane Marx
Spieldauer: 08 Std. 40 Min. (gekürzt)


Wissenswertes

Kissing Lessons ist der Debütroman der us-amerikanischen Autorin Helen Hoang, der 2018 unter anderem mit dem Goodreads Choice Award in der Kategorie Liebesroman ausgezeichnet wurde. Diesem Genre ist sie verfallen, nachdem sie in der achten Klasse ihren ersten Liebesroman gelesen hat. Zurzeit lebt sie in Kalifornien, zusammen mit ihrem Mann, ihren zwei Kindern und einem Fisch als Haustier.

Kissing Lessons ist zudem der Auftakt zu einer Trilogie. Die Fortsetzung, The Bride Test, ist unter dem Titel Love Challenge im Januar 2020 auf Deutsch erschienen. Der dritte Band, The Heart Principle, soll dann im Juli dieses Jahres unter dem Titel Heart Trouble folgen.

Inhalt

Mit Zahlen kann die Ökonometrikerin Stella ausgezeichnet umgehen, zwischenmenschliche Beziehungen bereiten der Asperger-Autistin jedoch regelmäßig Kopfzerbrechen. Sie hatte sich im Grunde schon damit abgefunden die damit einhergehenden Intimitäten lediglich über sich ergehen zu lassen statt diese zu genießen – bis der Kommentar eines Kollegen sie auf den Gedanken bringt, dass ihr vielleicht einfach nur die Übung fehlt. Hat sie womöglich bessere Chancen auf eine feste Beziehung, wenn sie ihre sexuellen Fertigkeiten verbessert? Genau das will Stella herausfinden und holt sich kurzentschlossen professionelle Hilfe – von einem Escort. Michael bringt seiner wissbegierigen Auftraggeberin allerdings nicht nur bei, wie sie andere Männer im Bett zufrieden stellen kann, sondern sorgt erstmals auch dafür, dass sie selbst dabei ebenfalls auf ihre Kosten kommt …

Kritik

Kissing Lessons ist ein sehr gelungener, erotischer Liebesroman, der dank der vielen positiven Aspekte trotz kleinerer Schwächen insgesamt überzeugen kann.

Punkten kann die Autorin Helen Hoang vor allem mit den sympathischen und diversen Charakteren, wobei sich die Diversität hier einmal nicht nur auf Randfiguren erstreckt, sondern auch die beiden Protagonisten umfasst: Stella ist eine Asperger-Autistin und Michael ist ein Amerikaner mit asiatischen Vorfahren. Doch auch darüber hinaus sind die beiden alles andere als gewöhnlich oder langweilig, zumal die Autorin bei ihnen gekonnt mit den „klassischen“ bzw. überholten Geschlechterrollen spielt und diese bewusst vertauscht. So ist Stella eine erfolgreiche, überdurchschnittlich gut bezahlte – das ist noch untertrieben – Ökonometrikerin, wohingegen Michael, der eigentlich Schneider ist, aus inzwischen eher ärmlichen Verhältnissen stammt und sich als Escort etwas hinzuverdient, um die Krankenhausrechnungen seiner kranken Mutter zu bezahlen, was diese natürlich nicht weiß.

Stella ist in sexueller Hinsicht nicht völlig unerfahren, hat aufgrund ihres Asperger-Syndroms jedoch manchmal Schwierigkeiten mit zwischenmenschlichen Interaktionen und mit Männern bisher leider eher schlechte Erfahrungen gemacht. Die Schuld sucht sie bedauerlicherweise bei sich selbst und als jemand sie auf die Idee bringt, dass Sex vielleicht nur eine Frage der Übung ist, engagiert sie einen Escort, damit dieser sie unterrichtet und ihre aus ihrer Sicht unzureichenden Fertigkeiten auf diesem Gebiet verbessert.

Zum Glück lernt sie dadurch den feinfühligen Michael kennen, der die junge Frau nicht ausnutzt, sondern ihr zeigt, wie schön körperliche Intimitäten sein können, wenn man Rücksicht auf die individuellen Bedürfnisse des jeweils anderen nimmt statt nur an sein eigenes Vergnügen zu denken, wie Stellas bisherige ignorante Sexualpartner dies getan haben. Obwohl sie ihm bestimmte Handlungen ausdrücklich gestattet, achtet Michael vielmehr auf die Signale, die ihr Körper sendet und passt sich ihrem Tempo an, sodass er zum Beispiel nichts tut, wozu sie ungeachtet ihrer anders lautenden Worte aufgrund ihrer sofortigen Anspannung oder Verkrampfung offenkundig noch nicht bereit ist. Dank Michael entdeckt Stella somit, dass sie tatsächlich Gefallen an körperliche Nähe finden kann.

Der charmante Michael wiederum fühlt sich auf Anhieb zu Stella hingezogen, was sehr schön zu beobachten ist. Durch den personalen Erzähler, der das Geschehen meist aus den Perspektiven von Stella oder Michael schildert, weiß man als Leser die ganze Zeit, was er wirklich über sie denkt und umgekehrt. Aufgrund der „geschäftlichen Basis“ schreitet ihre Beziehung recht zügig, aber dennoch nachvollziehbar voran. Irgendwann gehen die beiden dann von Sex- zu Beziehungsunterricht über, wobei sie sich zwangsläufig näher kommen, sowohl körperlich als auch emotional. Man spürt förmlich, wie es zwischen ihnen knistert, und es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass sie tiefe Gefühle füreinander entwickeln.

In der Mitte des Buches übertreibt Helen Hoang es quantitativ allerdings ein bisschen mit den Sexszenen, die infolgedessen zu sehr in den Vordergrund rücken. Weniger hätten der Geschichte insofern besser getan, zumal die zwischenmenschlichen Beziehungen viel interessanter sind und dieser Aspekt der Autorin besonders gut gelungen ist. Darüber hinaus sind diese Szenen auch stilistisch etwas gewöhnungsbedürftig, denn die teils sehr blumigen Umschreibungen werden sicherlich nicht jeden Geschmack treffen. Hinzu kommen zahlreiche Wortwiederholungen bzw. auffallend oft verwendete Redewendungen, die durch unterschiedliche Formulierungen vermeidbar gewesen wären. Dafür sind diese Momente stets von gegenseitigem Einvernehmen, einem respektvollen Umgang miteinander und großer Wertschätzung geprägt. Außerdem pflastert der humorvolle Stil der Autorin einem praktisch ein Dauergrinsen ins Gesicht.

Stella und Michael sind einfach ein tolles Paar, dessen Geschichte einen so fesselt, dass man ununterbrochen weiterlesen bzw. -hören möchte, und natürlich verlieben sie sich schließlich ineinander. Lange Zeit können beide jedoch nicht glauben, dass der jeweils andere diese Gefühle jemals aufrichtig erwidern könnte. Dass die zwei Hauptfiguren sich letztlich immer mehr in ihre unzutreffenden Überzeugungen hineinsteigern statt endlich offen miteinander zu sprechen und ihre Unsicherheiten vorübergehend stärker als die Vernunft sind, verursacht am Ende ein etwas übertriebenes Drama. Im turbulenten letzten Drittel muss man über die beiden also mitunter ganz schön die Augen verdrehen. Trotzdem freut man sich über den Ausgang und obwohl die Geschichte um Stella und Michael in sich abgeschlossen ist – die anderen Bände handeln von Michaels Cousins – hofft man, dass die beiden in den Fortsetzungen wieder auftauchen werden, wenn auch nur am Rande.

Des Weiteren gibt es noch einige liebenswerte Nebenfiguren, vor allem in Michals Familie, sowie ein paar Charaktere, für die man nur Verachtung empfindet. Letzteres gilt insbesondere für Stellas Kollegen Philip, der ein übergriffiger und selbstverliebter Widerling ist und natürlich erst Interesse an Stella zeigt, als diese scheinbar vergeben ist. Michaels Mutter, seine Oma, seine Schwestern und seine Cousins mag man hingegen richtig gern, obschon sie alle zusammen manchmal für ein ganz schönes Chaos sorgen.

Positiv hervorzuheben ist ferner der Umstand, dass man durch Stella etwas mehr über das Asperger-Syndrom erfährt, das bei Frauen wohl wesentlich seltener diagnostiziert wird, weil sie besser darin sind die damit verbundenen Herausforderungen im Alltag zu überspielen als Männer. Dank der anschaulichen Beschreibungen kann man sich sehr gut mit Stella identifizieren, auch wenn man selbst nicht betroffen sein sollte, und es ist interessant zu sehen, wie es sich auf Stellas Leben auswirkt und wie sie damit umgeht. Diese Besonderheiten, darunter Stellas starkes Bedürfnis nach Routine, werden nachvollziehbar dargestellt und wirken sehr realistisch.

Abschließend noch ein paar Worte zum Hörbuch: Christiane Marx liest zwar nicht unbedingt schlecht, war als Sprecherin möglicherweise aber nicht die optimale Wahl. Das Tempo ist in Ordnung, ihre Stimmfarbe klingt dagegen viel zu tief bzw. „alt“ für die Protagonistin Stella. Ein paar Wörter spricht sie falsch aus und auch die Betonung ist manchmal weniger schön, vor allem bei Dialogen, wodurch sie einige Charaktere gelegentlich ziemlich unsympathisch erscheinen lässt, was so sicher nicht gewollt war. Bisweilen verstellt sie zudem ihre Stimme, was vor allem bei Michael eher negativ auffällt, da sie dann sehr gekünstelt und somit alles andere als authentisch klingt.

Fazit

Kissing Lessons ist ein gelungener Liebesroman, dessen außergewöhnliche Protagonisten man schnell liebt gewinnt und deren fesselnde Geschichte einen sofort in ihren Bann zieht. Er ist vielleicht nicht perfekt, aber überaus unterhaltsam und auf jeden Fall eine willkommene Abwechslung vom genretypischen Einheitsbrei!





Kommentare

  1. Das liest sich sehr angenehm, was du schreibst. Klingt nach einem wirklich romantischen Buch. Ich mag auch das florale Cover sehr gerne.

    • Romantisch war die Geschichte durchaus, nur in der Mitte nahmen die erotischen Szenen, wie schon geschrieben, etwas überhand. Das Cover gefällt mir ebenfalls sehr gut.

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