[Rezension] Zweiunddieselbe

04. Dezember 2010 | 19:20 | Gelesen

Titel: Zweiunddieselbe
Autorin: Mary E. Pearson
Originaltitel: The Adoration of Jenna Fox
Erstveröffentlichung: 2008
Übersetzer: Gerald Jung, Katharina Orgaß


Wissenswertes

Zweiunddieselbe ist das vierte Jugendbuch der us-amerikanischen Autorin Mary E. Pearson, die für alle ihre Jugendbücher zahlreich ausgezeichnet wurde.

Bevor sie sich dem Schreiben von Büchern widmete, arbeitete sie nach ihrem Studium viele Jahre lang als Lehrerin.

Ihr neuester Roman, The Miles Between, erscheint im Februar 2011 unter dem Titel Ein Tag ohne Zufall bei Fischer Schatzinsel.

Inhalt

Jenna Fox hatte einen Unfall. Einen Unfall, den sie eigentlich nicht hätte überleben dürfen. Doch das hat sie, denn ihre Eltern lieben sie so sehr, dass sie sie nicht loslassen konnten.

Als Jenna Fox aufwacht, hat sie keine Erinnerungen mehr an ihr früheres Leben, weder an sich selbst, noch an ihre Familie. Auch von dem Unfall weiß sie nichts mehr und niemand will ihr etwas darüber verraten. Stattdessen soll sie sich einfach zu Hause erholen und versuchen sich mit Hilfe alter Aufnahmen von sich und ihrer Familie an ihr früheres Leben zu erinnern.

Nach und nach kehren schließlich immer mehr Bruchstücke zu ihr zurück. Damit kommen aber auch die Fragen und Jenna will endlich wissen, was wirklich passiert ist. Doch erst als sie sich beim Rumschnüffeln an der Hand verletzt, erfährt sie die schreckliche Wahrheit.

Nach dem Unfall war Jenna so schwer verletzt, dass sie hätte sterben müssen. Ihre Eltern ließen das jedoch nicht zu. Sie retteten, was noch zu retten war, und rekonstruierten ihrer Tochter illegal einen neuen künstlichen Körper, denn alles, was noch von Jenna stammt, sind zehn Prozent ihres Gehirns. Zehn Prozent, mehr ist von der „alten“ Jenna nicht übrig geblieben. Für ihre Eltern sind diese zehn Prozent entscheidend. Doch Jenna ist sich da nicht so sicher. Sind diese zehn Prozent wirklich genug? Ist sie mit nur zehn Prozent überhaupt noch ein Mensch?

Kritik

Zweiunddieselbe ist ein äußerst gelungenes Jugendbuch, das viele, vor allem ethische, Fragen aufwirft und den Leser dadurch zum Nachdenken anregt. Während man Jenna als Ich-Erzählerin begleitet und einen tiefen Einblick in ihre Gedanken und Gefühle bekommt, stellt man sich die gleichen Fragen wie sie. Was macht einen Menschen aus? Sind diese zehn Prozent, die noch von ihrem alten Ich übrig geblieben sind, ausreichend um sie menschlich zu machen? Oder ist sie nichts weiter als eine Kopie, die darauf programmiert wurde, sich wie Jenna zu verhalten und sich selbst für sie zu halten?

Diese Fragen stellt sich Jenna immer wieder seit sie herausgefunden hat, was ihre Eltern mit ihr angestellt haben. Doch egal wie lange sie darüber nachdenkt, sie erhält doch nie eine Antwort, denn wer soll es wissen, wenn nicht einmal sie selbst weiß, ob sie noch eine eigenständige Person ist? Immer wieder kämpft sie mit sich selbst und ihren inneren Konflikten. Einerseits ist sie wütend auf ihre Eltern, weil sie ihr das angetan haben. Sie kann nichts mehr essen, sie altert nicht und ist eben nicht mehr normal. Andererseits ist sie aber auch dankbar dafür, dass sie noch am Leben ist. Und dieses Leben, falls man es noch so nennen kann, will Jenna auch endlich führen. Je mehr Erinnerungen wieder kommen, desto entschiedener ist sie, ihr Leben zu ändern. Sie will nicht mehr die Tochter sein, die alles tut um es ihren Eltern Recht zu machen. Sie will selbstständiger sein, eigene Entscheidungen treffen und vor allem auch Fehler machen dürfen. Dafür setzt sie sich auch ein, was für ihre Eltern eine enorme Umstellung bedeutet, da die „alte“ Jenna immer das gemacht hat, was man ihr gesagt hat.

Trotz dieser Konflikte gelingt es Jenna mit der Zeit jedoch wieder eine Beziehung zu ihren Eltern, vor allem zu ihrer Mutter, aufzubauen. Nachdem sie ihr anfangs noch sehr fremd waren und kein Vertrauen zu ihrer Tochter mehr hatten, finden sie auch wieder zueinander. Ihre Eltern mussten erst lernen, Jenna mehr Freiraum zu geben und selbst über sich bestimmen zu lassen.
Jenna musste erst einmal begreifen, warum ihre Eltern so gehandelt haben und verstehen, dass sie aus Liebe zu ihrer Tochter einfach alles getan hätten um sie zu retten, egal wie falsch oder illegal es ist.

Doch auch die Beziehung zu ihrer Großmutter Lily verändert sich im Laufe der Handlung. Zu Beginn kann Lily mit ihrer Enkelin nicht viel anfangen, da Jenna für sie am Tag des Unfalls gestorben war. Sie weiß zunächst nicht, was sie von Jenna halten soll, ob das wirklich noch ihre Enkelin ist oder nur eine Art Kopie, und tut alles nur aus Liebe zu ihrer eigenen Tochter, Jennas Mutter. Je mehr Zeit sie jedoch mit Jenna verbringt, desto mehr entdeckt sie in ihr wieder ihre geliebte Enkelin und steht ihr schließlich auch in den Konflikten zwischen Jenna und ihren Eltern bei. Sie möchte ihr, genau wie schon vor dem Unfall, mehr Freiraum verschaffen, mehr Luft zum atmen. Mit der Zeit schwindet dann ihr Misstrauen und sie beginnt wieder in Jenna ihre Enkelin zu sehen.

Gerade diese zwischenmenschlichen Beziehungen werden von Mary E. Pearson besonders schön geschildert. Obwohl die gesamte Handlung aus Jennas Perspektive erzählt wird, kann man stets auch die Standpunkte der anderen Charaktere gut nachvollziehen. Man sympathisiert zwar vor allem mit Jenna, kann aber trotzdem verstehen, warum Lily ihr gegenüber am Anfang so distanziert ist. Immerhin weiß Jenna ja auch selbst nicht so genau, was sie von sich halten soll.

Besonders deutlich wird das, neben den detaillierten Beschreibungen von Jennas Innenleben, durch verschiedene Texte bzw. so eine Art Gedichte, die mehrmals im Buch auftauchen. Sie alle sind ebenfalls aus Jennas Perspektive geschrieben und schildern ihre Fragen, Ängste und Erinnerungen. Dadurch kann man sich gut in sie hinein versetzen und ihre Handlungen stets nachvollziehen.

Des Weiteren setzt Mary E. Pearson sich kritisch mit dem Thema Wissenschaft und Forschung auseinander. Bis zu welchem Grad ist Fortschritt noch positiv und ab wann schlägt er ins negative um? Wie viel Fortschritt ist noch gut für uns? Die Auseinandersetzung mit solchen Fragen ist in der zukünftigen Welt, die die Autorin geschaffen hat, von besonderer Bedeutung. Durch die immer zahlreicheren Kreationen künstlich erzeugter Pflanzenarten sind die natürlichen Arten z.B. kaum noch vorhanden und durch medizinische Forschung entstand ein Virus, das unzählige Menschen das Leben kostete.
Die Entwicklung eines Gels, das es ermöglichte, Organe für Transplantationen länger als ein paar Stunden aufbewahren zu können, war natürlich von Vorteil. Aber trifft das auch noch zu, wenn man dadurch eine Person nahezu völlig neu erschafft? Oder ist das nicht vielleicht zu viel des Guten?

Die Autorin versteht es außerdem sehr gut, das Interesse des Lesers stets aufrecht zu erhalten. Zuerst verfolgt man gebannt, wie Jenna mehr über sich und den Unfall herausfindet. Dann will man herausfinden, wie sie mit dieser Wahrheit umgeht und wie ihr Leben von nun an weiter gehen soll. Ihre Eltern versuchen so viel wie möglich vor ihr zu verbergen und geben stets nur Informationen über die Dinge preis, die Jenna schon selbst aufgedeckt hat und außerdem darf niemand wissen, was mit Jenna geschehen ist, denn jemanden wie sie dürfte nach dem Gesetz gar nicht existieren. Trotzdem hat Jenna natürlich das Bedürfnis sich jemandem anzuvertrauen und ihre Last zu teilen. Damit würde sie jedoch sich selbst und alle Menschen, die bei ihrer „Rettung“ geholfen haben, in Gefahr bringen. Was würde die NEWF, die Organisation, deren Aufgabe es ist zu überwachen, dass so etwas wie mit Jenna nicht geschieht, reagieren? Was würden sie wohl mit Jenna machen?

Fazit

Zweiunddieselbe ist ein Jugendbuch, das man eigentlich nur empfehlen kann. Mary E. Pearson wirft darin elementare Fragen über das menschliche Sein auf und regt den Leser dadurch stark zum Nachdenken kann. Was macht einen Menschen aus? Wie weit würde man gehen um einen geliebten Menschen zu retten?

Dabei geht sie besonders auf die zwischenmenschlichen Beziehungen und Jennas innere Konflikte ein, welche sie stets detailliert beschreibt, sodass sich der Leser gut in die einzelnen Figuren hinein versetzen kann.

Diese Faktoren machen Zweiunddieselbe zu einem wundervollen Jugendroman, der nicht nur unterhält, sondern auch lehrreich ist und dafür sorgt, dass wir uns mehr Gedanken über unser Leben und unsere Persönlichkeit machen.





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