[Rezension] Flawed

18. Januar 2017 | 23:40 | Gelesen

Titel: Flawed
Autorin: Cecelia Ahern
Originaltitel: Flawed
Erstveröffentlichung: 2016
Übersetzer: Anna Julia Strüh, Christine Strüh


Wissenswertes

Flawed ist das erste Jugendbuch der erfolgreichen irischen Bestseller-Autorin Cecelia Ahern, die im Alter von gerade einmal 21 Jahren ihren ersten Roman schrieb, durch den sie auf Anhieb weltweite Bekanntheit erlangte: P.S. Ich liebe dich. Nur wenige Jahre später wurde das Buch mit Hilary Swank und Gerard Butler in den Hauptrollen verfilmt und sie selbst hat inzwischen neben zahlreichen Romanen auch Theaterstücke und Drehbücher geschrieben. Sie wurde in Irland geboren, studierte Journalistik sowie Medienkommunikation in Dublin und wohnt heute mit ihrem Mann und ihren Kindern im Norden der Stadt.

Flawed ist zudem der Auftakt zu einer Dilogie. Der zweite Band, Perfect, ist bereits im November letzten Jahres auf Deutsch erscheinen. Die deutsche Übersetzung ist dem englischsprachigen Original, das erst im April 2017 erscheint, also sogar zuvorgekommen.

Inhalt

Celestine North führt ein scheinbar perfektes Leben und verhält sich stets vorbildlich. Das muss sie auch, denn sie lebt in einer Welt, in der jeder Perfektion anstrebt und falsche Entscheidungen schwer bestraft werden. Wer einen Fehler begeht, wird gebrandmarkt und praktisch aus der Gesellschaft ausgestoßen. Die 17-Jährige glaubt fest an dieses System, schließlich ist es einfach richtig von falsch zu unterscheiden und derartige Fehler zu vermeiden. Oder etwa nicht?

Erst als Celestine eines Tages instinktiv die verhängnisvolle Entscheidung trifft einem Fehlerhaften zu helfen und deshalb auf einmal selbst am Pranger steht, wird ihr klar, wie leicht man tatsächlich einen solchen Fehler begehen kann, wie schnell man dafür verurteilt wird und was es überhaupt bedeutet fehlerhaft zu sein …

Kritik

Das erste Jugendbuch der irischen Autorin ist eine unglaublich packende Dystopie, die einen auch nach dem Lesen noch lange beschäftigt und sehr zum Nachdenken anregt, vor allem über die eigenen Vorstellungen von Perfektion und Fehlerhaftigkeit. Es sorgt dafür, dass man sich Gedanken über die Bedeutung von Fehlern macht. Ist es wirklich besser nie einen Fehler zu machen statt für die Zukunft aus ihnen zu lernen?

In Flawed beschreibt Cecelia Ahern nämlich eine wahrlich erschreckende Welt, in der man definitiv nicht leben möchte. Ein einziger Fehler – der in unseren Augen vielleicht nicht einmal verwerflich ist – kann das ganze restliche Leben beeinflussen, um nicht zu sagen ruinieren.

Fehlerhafte werden gebrandmarkt – für eine Lüge zum Beispiel auf der Zunge, für eine falsche Entscheidung an der Schläfe, etc. – und müssen ihr ganzes restliches Leben lang eine gut sichtbare Armbinde tragen, die jeden sofort erkennen lässt, dass sie fehlerhaft sind – ein Status, den sie nie wieder ablegen werden. Darüber hinaus ist ihnen jeglicher Luxus vergönnt, selbst ihre Ernährung wird streng kontrolliert. Sie dürfen das Land nicht verlassen, müssen sich an eine strikte Ausgangssperre halten, dürfen nie mit mehr als einem weiteren Fehlerhaften zusammen sein und dürfen mit einem solchen auch kein Kind großziehen.

Die Einhaltung dieser Regeln wird von so genannten Whistleblowern kontrolliert und Verstöße werden selbstverständlich umgehend sanktioniert, unabhängig davon, ob einen überhaupt ein Verschulden trifft. Im schlimmsten Fall richten sich solche Strafen dann sogar gegen die Angehörigen der Fehlerhaften um die Regeln durchzusetzen, selbst wenn diese nicht als fehlerhaft gelten. Wer denkt, dass es nach den Brandzeichen nicht mehr schlimmer kommen kann, irrt also.

Es wird einem daher schnell klar, dass dieses System die Moral der Menschen keineswegs verbessert hat, im Gegenteil. Ihr Verhalten ist mitunter einfach nur verachtenswert. Fehlerhafte haben kaum noch Rechte und werden nicht beschützt. Nicht einmal tätliche Angriffe auf sie werden geahndet, weil man ihnen entweder gar nicht erst glaubt oder der Ansicht ist, dass sie unter anderen Menschen stehen und somit weder freundlich noch mit Respekt behandelt werden müssen.

Allen anderen Menschen ist es zudem untersagt einem Fehlerhaften in irgendeiner Weise zu helfen. Wer es dennoch tut, muss mit einer Gefängnisstrafe rechnen. Wer dieses – oder andere – Verbrechen begangen hat, muss zwar seine Strafe absitzen, ist danach allerdings wieder ein freier Mensch. Im Gegensatz zu den Fehlerhaften, die demzufolge eigentlich noch deutlich härter bestraft werden als Kriminelle. Den meisten scheint das aber gar nicht bewusst zu sein und auch Celestine erkennt es erst, als sie am eigenen Leib erfährt, wie das Leben der Fehlerhaften wirklich aussieht.

Über den Charakter eines Menschen, und gegebenenfalls seine Fehler, urteilt die so genannte Gilde. Doch je mehr man über diese Institution und ihre Machenschaften erfährt, desto mehr zweifelt man an ihrem Sinn und Zweck und begegnet Widersprüchen. Wie sollte ein Mensch oder eine Gesellschaft ohne jegliches Mitgefühl jemals moralische Perfektion verkörpern? Vielmehr hat dieses zwanghafte Streben nach Perfektion zu vermehrter Selbstsucht geführt, da viele Leute nur noch daran denken selbst möglichst gut dazustehen.

An der Spitze der Gilde steht Richter Crevan, der seine Macht mehr und mehr missbraucht und dessen Urteile immer willkürlicher zu werden scheinen. Er ist absolut verabscheuungswürdig, denn alles, was er tut, dient nur der Ausweitung seiner Macht. Er will die Gilde nämlich auch in anderen Ländern etablieren und ihr dann natürlich global vorstehen.

Die Protagonistin Celestine ist anfangs sehr leichtgläubig, systemtreu, sieht alles nur schwarz/weiß und hat sich, wie die meisten, nie tiefergehende Gedanken über das Leben der Fehlerhaften gemacht. Sie steht hinter der Gilde und ignoriert Fehlerhafte vorsichtshalber lieber, weil sie befürchtet schon ein harmloser Gruß könnte sonst als Hilfe ausgelegt werden. Erst als eine Person aus ihrem sozialen Umfeld für eine Tat gebrandmarkt wird, die sie nicht zwingend als unmoralisch erachtet, beginnt sie langsam das System und seine Regeln zu hinterfragen. Das bringt sie zwar schnell in Schwierigkeiten, macht sie jedoch gleich viel sympathischer.

Für ihr nachvollziehbares Mitgefühl, ein Verhalten, das eigentlich selbstverständlich sein sollte, sowie ihre Weigerung zu lügen wird sie schließlich härter bestraft als jemals ein anderer zuvor und dadurch zum Spielball zwei verschiedener Seiten. Für die einen ist sie die fehlerhafteste Person aller Zeiten, an der ein Exempel statuiert werden musste, andere sehen in ihr dagegen eine Heldin.

Zunächst ist Celestine verständlicherweise mit der neuen Situation völlig überfordert. Ihr ganzes Leben hat sich von einem Tag auf den anderen komplett verändert und aus dem scheinbar perfekten Mädchen wurde eine Ausgestoßene. Sie muss also erst einmal wieder zu sich selbst finden, aber sie ist mutig und stark. Sie will sich nicht von anderen als Marionette benutzen lassen, sondern stattdessen selbst die Fäden ziehen. Es ist wahrlich bewundernswert, wie tapfer sie manchmal ist und dass sie sogar angesichts von Gefahr nie klein beigibt. Natürlich hat sie ebenfalls schwache Momente, in denen sie sich alles andere als furchtlos fühlt, doch das ist nur menschlich und macht sie noch authentischer.

Anders, als manche ihr unterstellen, war ihre Hilfe auch nie ein geplanter Akt der Rebellion, sondern lediglich ein selbstloser Akt des Mitgefühls. Das hindert sie allerdings nicht daran jetzt aktiv zu werden und die ihr zuteilgewordene Macht bewusst zu nutzen um etwas zu verändern und vor allem zu verhindern, dass Crevan seine Autorität noch weiter missbraucht. Es gibt einen Beweis für Crevans eigene Fehlerhaftigkeit, der ihn zu Fall bringen könnte. Sie muss ihn nur finden und richtig einsetzen.

Viele Menschen bieten Celestine Hilfe an, die meisten verfolgen jedoch ganz eigene Ziele und es ist schwer für sie herauszufinden, wem sie wirklich vertrauen kann und wem sie nur als Mittel zum Zweck dienen soll. Nur bei ihrer Familie braucht sie sich diese Frage nicht zu stellen; sie alle stehen hinter ihr und unterstützen sie, vor allem ihre Eltern und ihr Großvater, den sie immer für ein wenig verrückt hielt, der im Endeffekt aber wohl mit all seinen Theorien recht hatte. Es ist toll, wie sehr sich Celestines Mutter später für ihre Tochter einsetzt, sie verteidigt und, in gewisser Weise zumindest, gegen das System rebelliert, ohne ihre anderen Kinder dabei in Gefahr zu bringen. Ihre Tochter ist ihr nämlich wichtiger als die innere und äußere Perfektion, für die sie zuvor als Vorbild diente.

Traurig stimmt einen hingegen, wie sich Celestines kleiner Bruder nach dem Urteil ihr gegenüber verhält. Doch er ist noch sehr jung und hat vermutlich einfach Angst, da er die ganzen Ereignisse nicht wirklich einzuordnen weiß.
Celestines Schwester Juniper kann man zudem nur schwer einschätzen und noch weniger verstehen. Ihr Verhalten leuchtet einem einfach nicht ein, was sie leider eher unsympathisch macht.

Celestines Freund Art wirkt im Unterschied dazu zunächst recht liebenswert, verliert durch sein Verhalten während und nach Celestines Prozess aber letztlich jegliche Sympathie. Er denkt fast ausschließlich nur an sich und fragt sie nicht einmal, wie es ihr geht, als sie sich endlich wiedersehen.

Generell sind etliche der Figuren viel zu ichbezogen. Celestine ist diejenige, die alles verloren hat, doch andere Charaktere, die nicht ansatzweise so gelitten haben wie sie, reden andauernd davon, wie schlecht es ihnen geht, wie schwer dieses oder jenes für sie ist und was für ein Licht es auf sie wirft. Dieses Verhalten ist vollkommen unbegreiflich und absolut grotesk.

Glücklicherweise gibt es aber auch Personen, auf die das nicht zutrifft und die somit deutlich liebenswerter sind, beispielsweise Carrick. Celestine lernt ihn während ihres Prozesses kennen und fühlt sich ihm sehr verbunden, obschon sie nicht genau sagen kann, warum. Vielleicht weil sie Ähnliches durchgestanden haben und einander dadurch besser verstehen können. Man möchte gern mehr über diesen mutigen Mann erfahren, zumal seine Geschichte bestimmt sehr interessant ist, doch im ersten Band spielt er leider noch keine allzu große Rolle, was sich in der Fortsetzung dann hoffentlich ändert.

Außerdem gelingt es Celestine einige Menschen zum Umdenken zu bringen und ihr Fall ist der Anlass dafür, dass immer mehr Gegner der Gilde sich langsam zusammenschließen. Sie schafft es sogar die bisher systemtreue Journalistin Pia misstrauisch werden zu lassen, die daraufhin Nachforschungen anstellt um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Pia verändert sich dank Celestine stark und gewinnt an Sympathie, denn sie will dem Mädchen anscheinend wirklich helfen.

Die Handlung ist mitreißend und spannend von der ersten bis zur letzten Seite und die Fortsetzung kann man nach dem Ende kaum noch erwarten. Zum Glück ist sie, anders als im englischsprachigen Ausland, auf Deutsch bereits erschienen, gerade einmal zwei Monate nach dem großartigen ersten Band. Man wird sie garantiert so bald wie möglich lesen und die Erwartungen an das Finale der Dilogie sind entsprechend hoch. Nach diesem grandiosen Auftakt kann man allerdings sicher sein, dass der zweite Band mindestens ebenso gut wird.

Der wunderbare Schreibstil von Cecelia Ahern lässt sich flüssig lesen und durch die Ich-Perspektive kann man sich stets sehr gut in Celestine hineinversetzen und sich mit ihr identifizieren. Darüber hinaus vermittelt sie eine ganz wunderbare Botschaft, die man sich ruhig zu Herzen nehmen kann: Es ist nicht schlimm Fehler zu machen, denn wer nie Fehler macht, lernt nichts dazu.

Positiv hervorzuheben ist ferner die Selbstverständlichkeit, mit der die Autorin mit dem Thema Homosexualität umgeht. So gibt es in Flawed ein homosexuelles Pärchen, deren Beziehung jedoch nie in diesem Zusammenhang problematisiert wird. Die sexuelle Orientierung kommt auch nie direkt zur Sprache, wird nicht einmal konkret benannt, sondern immer nur ganz beiläufig eingearbeitet.

Fazit

Flawed ist vieles – packend, aufregend, beeindruckend, anregend, einfach fantastisch – aber ganz gewiss nicht fehlerhaft!





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