[Rezension] Nach dem Sommer

02. Januar 2011 | 19:55 | Gelesen

Titel: Nach dem Sommer
Autorin: Maggie Stiefvater
Originaltitel: Shiver
Erstveröffentlichung: 2009
Übersetzer: Sandra Knuffinke, Jessika Komina


Wissenswertes

Nach dem Sommer ist der Auftakt zur Trilogie The Wolves of Mercy Falls der us-amerikanischen Autorin Maggie Stiefvater.

Das Buch stieg nach seinem Erscheinen direkt in die Top 10 der Bestsellerliste der New York Times ein und erhielt mehrere Auszeichnungen. Die Rechte wurden mittlerweile an über 34 Länder verkauft und Warner Bros. hat sich bereits die Filmrechte gesichert.

In Deutschland erscheint die Trilogie beim script5 Verlag, der sich sowohl mit den Titeln als auch mit den Covern große Mühe gegeben und sie zu etwas besonderem gemacht hat. Zusammen mit dem zweiten Band Ruht das Licht, der im September dieses Jahres erscheint, und dem letzten Teil In deinen Augen, erscheint im September 2012, ergeben die Titel nämlich einen Satz.

Inhalt

Als junges Mädchen wurde Grace das Opfer eines Wolfsangriffs. Ein Rudel Wölfe zerrte sie von ihrer Schaukel im Garten und schleifte sie in den Wald, den sie auch nicht wieder lebend verlassen hätte, wäre da nicht noch ein anderer, ganz besonderer Wolf gewesen. Der Wolf mit den unglaublichen gelben Augen rettete Grace das Leben. Von da an geht ihr dieser eine Wolf nicht mehr aus dem Kopf und jeden Winter wartet sie sehnsüchtig darauf ihn wieder zu sehen, wenn er am Waldrand, der an den Garten des Hauses grenzt, steht und Grace beobachtet, genauso wie auch sie ihn beobachtet.

Erst als es Jahre später erneut zu einem Angriff durch Wölfe kommt, dem ein Junge aus der Schule von Grace zum Opfer fällt, wird ihr klar, dass die Wölfe im Boundary Wood, und damit auch ihr Wolf, keine normalen Wölfe sind.

Durch den Angriff steigt die allgemeine Angst vor den Wölfen, sodass es schließlich zu einer Jagd kommt, bei der die Männer aus der Stadt das Wolfsproblem ein für alle Mal beenden wollen. Grace versucht noch dies zu verhindern, erreicht den Wald jedoch nicht mehr rechtzeitig und muss machtlos die lauten Schüsse mit anhören.

Durch genau dieses Ereignis trifft sich jedoch auch auf Sam, den Jungen mit den gleichen wundersamen gelben Augen, die sie schon so gut kennt …

Kritik

Nach dem Sommer mag vom Thema her vielleicht nicht aus der Masse herausstechen, in allem anderen ist es jedoch einzigartig. Maggie Stiefvater ist es gelungen, eine fantastische und neuartige Liebesgeschichte zu kreieren, die einen nicht so schnell wieder loslässt.

Man könnte meinen, die Liebe zwischen einem Werwolf und einem normalen Mädchen sei ein alter Hut und somit nichts wirklich Neues oder Aufregendes mehr. Wer sich wegen dieses Gedankens das Buch entgehen lässt, verpasst jedoch wirklich etwas, denn Maggie Stiefvater hat dem Ganzen ihre persönliche Note hinzugefügt und schafft so auch mit einer nicht mehr ganz außergewöhnlichen Basis einen außergewöhnlichen Roman.

Die Werwölfe von Mercy Falls haben nicht viel mit den bekannten Klischees von Werwölfen gemein, außer dass man sich durch einen Biss anstecken kann. Die Werwölfe in Nach dem Sommer können sich nicht nach Belieben hin und her verwandeln oder nur bei Vollmond. In diesem Roman ist die Verwandlung der Wölfe abhängig von der Temperatur: Solange es warm ist, haben sie ihre menschliche Gestalt. Doch sobald der Winter naht und die Temperaturen sinken, beginnen sie sich zu verwandeln. Aber das ist noch nicht alles: Ihre Zeit als Menschen ist begrenzt, sobald sie einmal gebissen und zum Werwolf geworden sind. Je mehr Jahre vergehen, desto wärmer muss es sein, damit ein Wolf sich wieder in einen Menschen verwandelt, bis er dann irgendwann für immer ein Wolf bleibt.

Genau dieser Umstand ist es, der die Handlung so einzigartig und die Liebesgeschichte so fesselnd und sogar ein wenig tragisch macht. Für Sam ist es nämlich, trotz seines jungen Alters, vermutlich das letzte Mal, dass er sich in einen Menschen zurückverwandelt hat. Wenn er im Winter wieder zum Wolf wird, wird er wohl nie wieder sein wahres Ich zurück erlangen.
Diese Gefahr zieht sich durch das gesamte Buch und die Angst davor wird vor allem durch die Temperaturangaben am Anfang eines jeden Kapitels gesteigert. Je mehr die Temperaturen fallen, desto bedrohlicher wird für Sam der Moment, in dem er sich nicht mehr gegen die Verwandlung wehren kann und desto mehr steigt auch die Spannung für den Leser.

Beiden ist bewusst, dass ihnen nur noch wenig Zeit bleibt und deswegen wollen sie sie so gut es geht nutzen. Doch während Sam sich eigentlich schon mit seinem Schicksal abgefunden hat – so sehr er es sich auch anders wünscht – hofft Grace immer noch einen Ausweg zu finden, immerhin hat sie sich nie in einen Wolf verwandelt, obwohl sie damals von ihnen gebissen wurde.

Aber nicht nur diese unglaublich schöne und romantische Liebesgeschichte macht Nach dem Sommer zu einem besonderen Buch, sondern auch die Charaktere, allen voran Grace und Sam. Beide sind sehr sympathisch und wachsen dem Leser schnell ans Herz. Sie haben sowohl Stärken als auch Schwächen, was beide zu sehr realen Figuren und die Geschichte umso glaubwürdiger macht, vor allem da die Autorin ihrer Beziehung auch genug Zeit gibt, um sich zu entwickeln.

Sam ist, im Gegensatz zu den meisten anderen männlichen Protagonisten ähnlicher Bücher, sehr schüchtern und zurückhaltend. Als Mensch hat er sich daher nie getraut Grace anzusprechen, obwohl er sie seit Jahren immer wieder beobachtet hat, sowohl als Mensch als auch als Wolf.

Daher ist es meistens die pragmatische und recht forsche Grace, die den ersten Schritt macht, vor allem was ihre gemeinsame Beziehung betrifft. Zugegeben, anfangs, bevor sie Sam kennen lernt und erfährt, was es mit den Wölfen wirklich auf sich hat, wirkt es noch etwas befremdlich, welche Zuneigung Grace für ein Tier empfindet. Das legt sich dann aber schnell wieder als sie die ganze Wahrheit über Sam und auch über sich selbst erkennt.

Obwohl beide sehr vertraut miteinander sind und offen miteinander über ihre Gefühle füreinander sprechen – wobei Grace diejenige ist, die eher Taten sprechen lässt, während Sam seine Gefühle eher in Worte fasst – hat Sam oftmals starke (Selbst-)Zweifel und kann nicht so recht glauben, dass Grace ihn wirklich liebt, was sonst immer eher bei der weiblichen Hauptfigur der Fall ist.
Beide sind sehr gegensätzlich, passen aber trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – wunderbar zusammen. Sie haben tiefe Gefühle füreinander und setzen alles daran, den Winter und die hereinbrechende Kälte zu überlisten und Sams Verwandlung zu verhindern. Als beiden klar wird, dass sie sich ein Leben ohne den anderen nicht mehr vorstellen können, wollen sie unbedingt einen Ausweg finden. Vor allem Grace klammert sich an die Hoffung zu entschlüsseln, warum sie sich damals nicht verwandelt hat um mit der Antwort darauf vielleicht auch Sam zu retten.

Aber nicht nur die Protagonisten sind der Autorin gut gelungen. Auch einige der Nebencharaktere fallen auf und bleiben im Gedächtnis. Während Grace’ Freundin Rachel eher blass und unwichtig bleibt, spielt ihre andere Freundin Olivia eine weitaus größere Rolle, deren Tragweite einem erst zum Ende der Geschichte hin wirklich bewusst wird. Das gleiche gilt für ihre Mitschülerin Isabel. Anfangs noch recht unsympathisch, lernt man sie im Verlauf der Geschichte besser kennen und verstehen, bis man am Schluss sogar richtig dankbar ist, dass es sie gibt.
Interessant sind aber auch die anderen (Wer)wölfe aus Sams Rudel. Zum einen Beck, der für Sam wie ein Vater ist, und zum anderen Shelby, die fast von Sam besessen ist und dadurch regelrecht zu einer Bedrohung für Grace und seine Beziehung mit ihr wird.

Neben den Charakteren gibt es jedoch noch einen weiteren Faktor, der dieses Buch so besonders macht: Der Schreibstil von Maggie Stiefvater. Selten findet man ein Buch, dessen Schreibstil so heraus sticht und auffällt – im positiven Sinne! Geradezu poetisch beschreibt die Autorin Szenen oder Schauplätze und zieht den Leser dadurch absolut in ihren Bann. Manche Wendungen oder Beschreibungen sind so wohlklingend, dass man gar nicht anders kann als sie mehrmals zu lesen. Dabei ist ihre Sprache dennoch nie kompliziert und so bildlich, dass die Szenen direkt vor dem geistigen Auge entstehen.

Besonders schön gelungen sind auch die abwechselnden Ich-Perspektiven von Grace und Sam. Dadurch erhält man einen tiefen Einblick in beide Charaktere, lernt ihre gegenseitigen Gefühle für einander noch besser kennen und kann sich in beide sehr gut hinein versetzen. Außerdem ermöglicht dies der Autorin, bestimmte Szenen aus verschiedenen Blickwinkeln darzustellen, was das Lesen noch um einiges interessanter macht.

Das Ende ist Maggie Stiefvater ebenfalls fantastisch gelungen. Nach dem sich die Spannung mit den sinkenden Temperaturen zum Ende hin immer weiter steigert, kann man das Buch nicht mehr aus der Hand legen ehe nicht auch die letzte Seite gelesen ist. Dabei schafft es die Autorin den Leser nicht nur zu überraschen, sondern auch ihn zu Tränen zu rühren. Das Ende ist so perfekt, dass eigentlich nur eine Frage offen bleibt: Warum gibt es überhaupt eine Fortsetzung?

Fazit

Mit Nach dem Sommer ist der Autorin eine wunderbare, aber in gewisser Weise auch tragische, Liebesgeschichte gelungen, die den Leser völlig in ihren Bann zieht. Der Schreibstil von Maggie Stiefvater ist wirklich herausragend und die lebensnahen und liebenswerten Charaktere sowie das wirklich perfekte Ende machen diesen Roman zu einem einzigartigen und überzeugenden Genuss, der eigentlich keiner Fortsetzung bedarf. Trotzdem wird man sich diese nicht entgehen lassen, in der Hoffnung, dass es der Autorin noch einmal gelingt, den Leser so zu verzaubern.





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