[Rezension] Der Report der Magd

21. April 2020 | 23:25 | Gelesen

Titel: Der Report der Magd
Autorin: Margaret Atwood
Originaltitel: The Handmaid’s Tale
Erstveröffentlichung: 2019
Übersetzer: Ebi Naumann


Wissenswertes

Der Report der Magd ist ein Graphic Novel, basierend auf dem gleichnamigen Roman der vielfach ausgezeichneten kanadischen Autorin Margaret Atwood. Der Roman der mittlerweile 80-jährigen Bestseller-Autorin erschien erstmalig 1985 und ist heute ihr wohl bekanntestes Werk. Er wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und 1990 zum ersten Mal verfilmt. Noch erfolgreicher als der Film ist allerdings die aktuelle Serien-Adaption, die zurzeit vier Staffeln umfasst. Nach knapp 35 Jahren schrieb die Autorin zudem schließlich doch die lang ersehnte Fortsetzung, die 2019 unter dem Titel Die Zeuginnen veröffentlicht wurde. Sie spielt etwa 15 Jahre nach dem Ende des Vorgängers und dreht sich nicht mehr um Desfred, sondern um drei andere Frauen, die auf unterschiedliche Weise alle mit der früheren Protagonistin verbunden sind.

Die Illustrationen des Graphic Novels stammen von der kanadischen Künstlerin Renée Nault, die insbesondere für ihre lebendigen Aquarellzeichnungen bekannt ist.

Inhalt

Nach der Machtübernahme durch religiöse Fanatiker ist auf dem einstigen Gebiet der USA ein neuer, totalitärer Staat entstanden: Gilead. Dort haben Frauen keinerlei Rechte oder Besitztümer, dürfen weder arbeiten noch lesen oder schreiben. Frauen, die keine Kinder bekommen können, müssen als sogenannte Marthas in den Haushalten der Kommandanten als Dienstmädchen arbeiten. Fruchtbare Frauen werden als Mägde eingesetzt und sogar ihres eigenen Namens beraubt. Ihr einziger Zweck besteht fortan darin für den Erhalt der Menschheit zu sorgen, wofür sie sich einmal im Monat einer rituellen Vergewaltigung durch ihren Kommandanten unterziehen müssen. Die meist schon recht alten Männer sind oftmals nicht mehr zeugungsfähig, dennoch trifft allein die Mägde die Schuld, falls eine Schwangerschaft ausbleibt und der verzweifelte Versuch auf anderem Wege schwanger zu werden wird mit dem Tode bestraft …

Kritik

Der Report der Magd ist ein sehr gelungener Graphic Novel, mit dem der moderne und eindringliche Klassiker von Margaret Atwood gekonnt in ein neues Medium übertragen wurde. Trotz der Reduktion auf das Wesentliche, wie es für diese Form erforderlich ist, muss man weder das Original noch die verschiedenen, filmischen Adaptionen des Werkes kennen, um der Geschichte folgen zu können. Sollte man den Roman noch nicht gelesen haben, wird man allerdings spätestens nach der Lektüre des Graphic Novels den Wunsch haben dies nachzuholen, um noch tiefer in diese düstere Zukunftsvision einzutauchen.

Insbesondere als Frau wird man während des Lesens von der ersten Seite an von einem sehr beklemmenden Gefühl erfasst. Man möchte unter keinen Umständen mit der Protagonistin tauschen und kann sehr gut nachvollziehen, warum so viele Frauen in Gilead den Tod einem Schicksal als Magd oder überhaupt einem Leben in diesem Staat vorziehen. Diese beunruhigende Wirkung wird durch das Wissen verstärkt, dass die dystopische Geschichte weder in der Vergangenheit noch in irgendeinem fiktiven Land spielt, sondern Gilead vielmehr eine zukünftige, zutiefst beängstigende Version der USA darstellt, in der die Demokratie von einer fanatischen, patriarchalischen Militärdiktatur abgelöst wurde, die Furcht verbreitet und vor allem Frauen massiv unterdrückt sowie objektifiziert. Dass so etwas tatsächlich geschehen könnte, möchte man sich nicht ausmalen.

Fruchtbare Frauen werden dort auf ihre biologische Fähigkeit neues Leben auszutragen reduziert und erbarmungslos als Gebärmaschinen missbraucht. Der alleinige Zweck und der einzige Wert der Mägde bestehen darin schwanger werden zu können und Kinder auf die Welt zu bringen, die man ihnen dann sofort nach der Geburt entreißt und anderen Frauen anvertraut. Man beraubt sie ihrer eigenen Identität, indem man sie wie „Desfred“ nach dem Vornamen des Mannes benennt, der sie einmal im Monat vergewaltigen „darf“. Wird die Magd daraufhin nicht schwanger, macht man sie dafür verantwortlich und lässt ihr bei mehrmaligem „Versagen“ gegebenenfalls ein noch schlimmeres Schicksal zuteilwerden, indem man sie in die Kolonien schickt, denn ein Mann könne nach Ansicht der Machthaber Gileads niemals zeugungsunfähig und damit die Ursache für eine ausbleibende Empfängnis sein. Werden die Frauen jedoch dabei erwischt, wie sie aus Angst vor den Konsequenzen versuchen auf anderen Wegen schwanger zu werden, droht ihnen sogar die Todesstrafe.

In gelegentlichen, kurzen Rückblenden wird gezeigt, welche einzelnen Veränderungen zu dieser drastischen Entwicklung von einer Demokratie zu einer theokratischen Diktatur geführt haben, die einen in der Realität dann hoffentlich dazu veranlassen würden das eigene Land fluchtartig zu verlassen. Erschreckenderweise waren weder eine besonders lange Zeitspanne noch sonderlich viele Maßnahmen notwendig, um diesen Wandel zu vollenden. Noch perverser wird das Ganze durch den Umstand, dass Touristen, darunter sogar Frauen, allen Ernstes nach Gilead reisen, um sich das „neue System“ anzuschauen, worüber man nur fassungslos den Kopf schütteln kann. Welcher vernünftige Mensch bzw. welche Frau, die nicht selbst in einer ähnlicher Gesellschaft aufgewachsen ist, würde freiwillig in ein solches Land reisen?

Das Einhalten der strengen Regeln wird dadurch sichergestellt, dass man permanent befürchten muss von anderen bespitzelt zu werden und Verstöße außerordentlich hart bestraft werden. Für die Entfaltung einer eigenen Persönlichkeit bleibt keinerlei Raum und da man zumindest als Magd oder Martha weder Kontakt zu Freunden noch Familie hat, bleibt einem im Grunde nichts, was das Leben weiterhin lebenswert machen würde. „Desfred“ hält somit lediglich die Hoffnung aufrecht, ihre Tochter eines Tages wiederzusehen.

Insgesamt ist die Protagonistin „Desfred“ einem hier nicht unbedingt sympathisch, was vor allem daran liegt, dass man nicht so ganz nachvollziehen kann, warum sie all das – im Gegensatz beispielsweise zu ihrer Freundin Moira – nahezu widerstandslos erduldet. Doch man hat in jedem Fall großes Mitleid mit ihr sowie den anderen Mägden, sodass sie einem zumindest auch nicht egal ist und man ihr wünscht irgendeine Möglichkeit zu finden diesem Leben wieder zu entkommen. Das Ende ist allerdings relativ offen gehalten, wodurch man letztlich nicht sicher weiß, was aus „Desfred“ geworden ist.

Die Illustrationen von Renée Nault sind grundsätzlich bunt, abgesehen von den schon allein optisch viel freundlicheren Rückblenden sind aber die Farben Rot, Grün, Blau und Schwarz vorherrschend, wobei die ersten drei klar erkennbar den unterschiedlichen „Kategorien“ von Frauen zuzuordnen sind: Mägde, Marthas und Ehefrauen. Trotz der Verwendung dieser Farben wirken die Zeichnungen sehr düster, was zur erdrückenden Atmosphäre des Graphic Novels passt. Darüber hinaus sind sie sehr schlicht gehalten, die Hintergründe wurden entweder einfarbig gestaltet oder es wurde gleich gänzlich auf sie verzichtet. Trotzdem sind die Illustrationen stets eindrucksvoll und aussagekräftig.

Fazit

Renée Nault gelingt es die düstere, unvorstellbar schreckliche Zukunftsvision von Margaret Atwood eindrücklich in Szene zu setzen, sodass der moderne Klassiker Der Report der Magd seine beklemmende Wirkung auch als Graphic Novel problemlos entfalten kann.





Kommentare

  1. Ohhh, die Graphic Novel zu “Der Report der Magd” steht mit auf meiner Wunschliste. Ich finde den Roman schon sehr gelungen (wie die meisten Werke Atwoods) und freue mich sehr auf die Geschichte als Graphic Novel.

    • Wenn du ihre Romane magst, wird dir der Graphic Novel sicher gefallen, auch wenn er natürlich nicht so stark in die Tiefe gehen kann. Ich selbst habe den Roman leider noch nicht gelesen, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, möchte das aber auf jeden Fall noch nachholen. :)

Kommentar abgeben?

Hiermit erteile ich mein Einverständnis.

Archive

Online seit

Hinweis: In nahezu allen Beiträgen sind die ggf. abgebildeten Buchcover o.Ä. mit einem sog. Affiliate-Link (externer Link zu Amazon) hinterlegt und gelten daher als Werbung.