Autorin: Suzanne Young
Originaltitel: The Program
Erstveröffentlichung: 2013
Übersetzer: Lothar Woicke
Wissenswertes
Du.Wirst.Vergessen. ist der Auftakt zu einer Dilogie. Der zweite und damit schon letzte Teil, The Treatment, wird im April 2014 in den USA erscheinen.
Inhalt
Es ist also kein Wunder, dass Sloane und James, der Junge, den sie liebt, mit aller Macht versuchen diesem Schicksal zu entkommen. Sie wollen weder sich selbst verlieren noch die Tatsache vergessen, dass sie einander lieben. Nach dem Programm würden sie nicht einmal mehr wissen, dass sie sich kennen. Doch mit jedem schmerzlichen Verlust wird es schwieriger die Fassade aufrecht zu erhalten und schon bald wird das Programm trotz all ihrer Bemühungen auf sie aufmerksam …
Kritik
Der Schreibstil der Autorin wirkt anfangs ein wenig befremdlich, weil sie statt und/oder häufig einfach nur Kommata verwendet. Sobald man sich daran gewöhnt hat, fällt es einem jedoch kaum noch auf.
Der Kern der Geschichte – eine Selbstmordepidemie unter Jugendlichen – ist eine unbeschreiblich aufwühlende Thematik, die einen nachhaltig beschäftigt und selbst nach dem Lesen noch eine Weile verfolgen wird. Wie es, wahrscheinlich, letztendlich dazu kam, wird nur kurz am Rande erwähnt, aber das ist nicht schlimm, denn viel wesentlicher sind die Konsequenzen, die die Gesellschaft, oder zumindest große Teile davon, daraus gezogen hat.
Obwohl man sich als Leser vor allem mit den selbst betroffenen Protagonisten identifizieren kann, ist man durchaus in der Lage sich in beide „Fronten“ hineinzuversetzen, wodurch man sowohl die Sicht der Eltern als auch die der Jugendlichen sehr gut nachvollziehen kann.
Es ist mehr als verständlich, dass die Erwachsenen zunehmend besorgter um ihre Kinder sind und große Angst davor haben sie durch einen solchen Selbstmord, der inzwischen als ansteckende soziale Krankheit gilt, zu verlieren. Es ist wider die Natur, dass Eltern ihre Kinder zu Grabe tragen, weshalb sie alles tun wollen um ihre Kinder zu schützen. Dabei entgeht den meisten von ihnen jedoch völlig, unter welchen Druck sie ihre Abkömmlinge dadurch setzen und in welchen Teufelskreis das unweigerlich führt. Da die Schüler nicht nur von den Mitarbeitern des Programms, sondern sogar von den eigenen Eltern, geradezu bespitzelt werden und somit unter permanenter Beobachtung stehen, dürfen sie keinerlei Emotionen mehr zeigen. Wer weint, gilt als depressiv und wird sofort ins Programm gesteckt, sodass sie nicht einmal trauern können, wenn sie einen Freund oder gar ein Familienmitglied verlieren. Sie müssen aufpassen, was sie tun, was sie sagen, wie sie wahrgenommen werden. Dieser Druck ist kaum auszuhalten und für den Leser förmlich greifbar.
Die Angst davor vom Programm, das eigentlich geschaffen wurde um die Selbstmorde zu verhindern, mitgenommen zu werden ist es daher, die bei vielen überhaupt erst zu Suizidgedanken führt. Denn die Therapie des Programms besteht darin, den Jugendlichen sämtliche „infizierte“ Erinnerungen zu nehmen, was alle Erinnerungen an Personen einschließt, die sich das Leben genommen haben oder ebenfalls als gefährdet gelten. Diese Vorstellung ist für viele schlimmer als der Tod, was man durchaus verstehen kann. Wer sind wir schon ohne unsere Vergangenheit?
Die sogenannten Rückkehrer wissen so gut wie nichts mehr über sich oder ihre Vergangenheit, sie sind innerlich leer und werden von all ihren bisherigen Bekanntschaften isoliert. Die einzigen Personen, die man nicht aus ihrem Gedächtnis – und ihrem Leben – streicht, sind ihre Eltern, doch fast alles andere wird ihnen genommen oder vollkommen verdreht. Natürlich alles unter dem Vorwand der „Heilung“ und immerhin kann das Programm eine hundertprozentige Erfolgsrate vorweisen. Nur zu welchem Preis?
Obgleich man beide Seiten der Medaille kennt, ergreift man schon bald Partei für die Jugendlichen, denn so ehrbar das Ziel des Programms ist, so verwerflich sind ihre Methoden. Alles was sie interessiert, ist dass die Jugendlichen überleben, was das für ein Leben ist, ist ihnen jedoch gleichgültig und dieser Auffassung scheint leider auch Sloanes Mutter zu sein. Im Gegensatz zu Sloanes Vater ist es ihr scheinbar egal, ob die Gefühle ihrer Tochter verletzt werden, ob sie unglücklich oder gebrochen ist, solange sie nur am Leben bleibt. Dass sie ihr dadurch vermutlich alles nimmt, was das Leben überhaupt erst lebenswert macht, ignoriert sie einfach. Das ist unverzeihlich und man kann sie dafür einfach nur hassen.
Da die Geschichte aus Sloanes Perspektiver erzählt wird und diese dem Programm Dank ihrer verabscheuungswürdigen Mutter nicht entkommen kann, erfährt man aus erster Hand, was mit den angeblich kranken Jugendlichen dort geschieht und wie verloren sie sich nach der Entlassung fühlen. Es zerreißt einem fast das Herz zusehen zu müssen, wie sehr Sloane leidet als man ihr immer mehr Stücke ihrer selbst entreißt und sie beginnt sich selbst zu verlieren; wie sehr sie sich an ihre Erinnerungen klammert und sie dennoch nicht halten kann. Doch zum Glück ist Sloane eine starke, mutige Frau und wehrt sich gegen das Programm so gut sie kann. Sie kann vielleicht nicht verhindern, dass sie sich auf Grund der fehlenden Erinnerungen ziemlich stark verändert, sie wird allerdings auch nicht zu einem völlig anderen Menschen. Sie weiß, dass sie dem Programm nicht trauen darf und einen Weg finden muss, sich aus ihren Klauen zu befreien, wenn sie jemals zu sich selbst zurückfinden will.
Als Leser möchte man natürlich, dass sie außerdem zu James zurückfindet, denn im Unterschied zu den beiden kann man sich gut an ihre tiefen, langjährigen Gefühle füreinander erinnern, wie intensiv sie versucht haben auf einander aufzupassen, und hofft, dass das Schicksal sie erneut zusammen führt. James ist einem nämlich genauso sympathisch wie Sloane, er ist ihre erste große Liebe und sie kennen einander in und auswendig. Nur dem jeweils anderen gegenüber können sie sich vollkommen öffnen, weil sie dasselbe durchlitten haben und verstehen, was der andere fühlt.
Etwas schade ist lediglich, dass die Autorin einerseits sehr offen mit dem Thema Sexualität umgeht und die Intimität ihrer Beziehung nicht verschweigt, sich aber andererseits nicht über das Vorspiel hinauswagt, also den eigentlichen Akt immer unter den Tisch fallen lässt, und erst unmittelbar danach wieder ansetzt.
Im Programm selbst lernt Sloane noch eine weitere Figur kennen, für die sie viel empfindet. Er liebt Sloane, ihr Herz hat diese Gefühle jedoch nie erwidert, sodass keine lästige Dreiecksgeschichte daraus wird. Obwohl er nicht ganz vertrauenswürdig ist und einem seine Vorstellung davon, wie er Sloane am besten schützen kann, nicht gefällt, ist man dankbar für diese Freundschaft, da er ihr in der Not eine große Stütze war und sie auch danach nicht im Stich gelassen hat.
Weil man, einmal abgesehen von den unvermeidlichen Schritten, nie weiß, was als nächstes kommt, während die Handlung sich spürbar weiter zuspitzt, bleibt die Geschichte durchgängig spannend, wobei sie zum Ende hin noch mehr zunimmt. Suzanne Young gelingt es sogar einen mit Enthüllungen zu bestürzen, die auf Grund ihrer Gedächtnislücken eigentlich nur für Sloane neu sind.
Du.Wirst.Vergessen. ist der Auftakt zu einer Dilogie, trotzdem verzichtet die Autorin glücklicherweise auf einen Cliffhanger, sodass man nach den vielen schlimmen Erlebnissen wenigstens einen Moment aufatmen kann. Es ist jedoch klar, dass diese kurze Verschnaufpause nicht lange anhalten wird und da man unbedingt erfahren möchte, wie es mit Sloane und James weiter geht, wird man sich die Fortsetzung keinesfalls entgehen lassen.
Fazit
Der Kampf gegen das Programm hat begonnen und man kann es kaum erwarten zu erfahren, wer am Ende als Sieger daraus hervor geht!
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