[Rezension] Die Auswahl

28. Januar 2011 | 00:30 | Gelesen

Titel: Die Auswahl
Autorin: Ally Condie
Originaltitel: Matched
Erstveröffentlichung: 2010
Übersetzerin: Stefanie Schäfer


Wissenswertes

Die Auswahl ist der Auftakt zu einer neuen Jugendbuch-Serie, allerdings nicht das erste Buch, der us-amerikanischen Autorin Ally Condie. Obwohl es erst im November 2010 erschienen ist, wurde es schon jetzt mehrfach ausgezeichnet und gleich in mehrere Länder verkauft.

Crossed, der zweite Teil der Trilogie, soll im November dieses Jahres erscheinen. Der letzte Teil soll ein Jahr darauf folgen.

Inhalt

Cassia Reyes kann ihrem 17. Geburtstag kaum noch erwarten, denn noch am selben Abend findet ihr Paarungsbankett statt. Bei diesem Ereignis, an dem auch viele andere Schüler und Schülerinnen aus ihrer Stadt teilnehmen, erfahren sie alle, wer zu ihrem idealen Partner bestimmt wurde, also mit wem sie gepaart werden. Normalerweise sind diese Partner den jeweiligen Personen völlig unbekannt, da sie aus dem ganzen Land stammen können und sie sehen einander in diesem Fall nur über die Bildschirme. Danach haben sie aber bis zu ihrer Hochzeit im Alter von 21 Jahren Zeit um sich besser kennen zu lernen. Dazu erhält jede Person, die gepaart wurde, einen Mikrochip mit Informationen über den jeweiligen Partner.

Aber bei Cassias Paarungsbankett geschieht etwas Außergewöhnliches. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit ist ihr idealer Partner kein Unbekannter, sondern jemand, den sie kennt – und zwar nicht nur flüchtig. Sie wird mit ihrem besten Freund Xander gepaart, dem Jungen, den sie schon ihr ganzes Leben lang kennt, auf den sie jedoch nie zu hoffen wagte, weil solch ein Fall überaus selten ist. Im ersten Moment ist Cassia überglücklich. Sie kennt Xander und hat schon immer tiefe freundschaftliche Gefühle für ihn gehabt.

Eigentlich kann Cassia sich niemand besseren als ihren Partner vorstellen, doch dann geschieht das Unfassbare. Auf dem Mikrochip, den sie am Abend des Banketts ausgehändigt bekam und den sie sich nun, obwohl sie ja eigentlich alles über Xander weiß, trotzdem ansehen wollte, ist nicht nur Xander zu sehen, sondern auch noch ein anderer Junge. Ein Junge, den Cassia ebenfalls ziemlich gut kennt …

Kritik

Die Auswahl ist ein spannendes und fesselndes Buch, in dem die Autorin den Leser in eine faszinierende und zugleich auch erschreckende Welt entführt, die einen nicht so schnell wieder loslässt.

Cassia lebt in einer Gesellschaft, die lange nach der unseren entstand, und in der alles strengstens kontrolliert wird. Für alles gibt es strikte Regeln und Verbote, nichts wird dem Zufall überlassen. Es gibt nur noch mehr oder weniger wahrscheinlich. Die Gesellschaft, kontrolliert und organisiert von verschiedenen Funktionären, in verschiedenen Behörden und Positionen, sammelt alle möglichen Daten über ihre Bürger und lässt sie nahezu keine eigenen Entscheidungen treffen.
Die Gesellschaft bestimmt, wie die Bürger sich zu kleiden haben, welchen Beruf sie ausüben können, wo sie wohnen, wie viel Freizeit sie haben und was sie darin tun dürfen, wann sie zu Hause sein müssen, welche Nahrung sie zu sich nehmen, wen sie heiraten und meistens sogar wann sie sterben. All das wird für sie geregelt mit dem Ziel, der Mehrheit der Bürger ein möglichst langes und gesundes Leben zu ermöglichen. Die einzige Entscheidung, die die Bürger jemals treffen dürfen, ist ob sie gepaart werden oder für immer Single bleiben wollen. Da die Paarung bei jedem im Altern von 17 Jahren statt findet, müssen sie als Jugendliche schon entscheiden, wie ihr restliches Leben aussehen soll. Der Partner selbst wird jedoch von der Gesellschaft ausgesucht, wobei vor allem auf die idealen Gene geachtet wird, wodurch sie inzwischen nahezu alle Krankheiten ausgerottet haben. Auch der Nachwuchs unterliegt strengen Vorschriften. Die Paare haben nur bis zu ihrem 31. Lebensjahr Zeit um Kinder zu bekommen, danach ist es – um die optimale Gesundheit des Kindes zu garantieren – verboten und die Paare bleiben für immer kinderlos.

Auch die Kultur in dieser Gesellschaft unterliegt strengster Bewachung. Irgendwann wurde einmal beschlossen, dass die Kultur zu überladen gewesen sei und verschiedene Komitees wählten aus: die 100 besten Gemälde, die 100 besten Gedichte, die 100 besten Lieder. Alle anderen wurden vernichtet und somit für immer zerstört.
Außerdem wird auch das Wissen der Bürger kontrolliert. Um das Gehirn nicht mit unnötigen Informationen zu belasten, soll jeder nur das (Spezial)Wissen haben, das er wirklich benötigt, z.B. für seinen Beruf. Wer in seinem Beruf nicht mit Pflanzen zu tun hat, braucht demnach auch nicht zu wissen, wie verschiedene Pflanzen heißen und muss bestimmte Vorgänge nicht verstehen können.

Das gleiche gilt für bestimmte Arbeitsprozesse. Ein paar Personen wissen, wie man etwas anpflanzt, ein paar wissen wie man es erntet und wieder andere, wie man es verarbeitet. Aber niemand soll den gesamten Prozess kennen.
Was die Gesellschaft damit bezweckt ist klar: Sie will die Bürger vollständig abhängig machen, damit sie sich nicht gegen das System auflehnen können. Solange jeder seine Aufgaben gewissenhaft erledigt und unbedingten Gehorsam leistet, führt er ein ordentliches Leben und hat nichts zu befürchten. Ein Regelverstoß könnte dieses Leben jedoch für immer verändern und zieht nicht nur Konsequenzen für denjenigen selbst, sondern immer auch für seine gesamte Familie nach sich. So stellt die Gesellschaft sicher, dass niemand es auch nur versucht. Die Bürger sollen keine Fragen stellen und auch nicht nachdenken, sondern den Funktionären blind vertrauen, was bei den meisten auch funktioniert. So nehmen die meisten Menschen es auch einfach hin, als die Funktionäre plötzlich beschließen ihnen alle ihre Artefakte – Gegenstände aus früherer Zeit, die sie innerhalb der Familie weitergeben durften – wegzunehmen, um die angeblich dadurch entstandene Ungleichbehandlung zu beseitigen.
Des Weiteren wurde auch die Technologie auf das Nötigste beschränkt, sodass viele Aufgaben wieder von Menschen übernommen werden. Die Gesellschaft vor dieser soll nämlich auf Grund der zerstörerischen Konsequenzen von zu viel Technologie zu Grunde gegangen sein.

Diese Gesellschaft ist es wohl, über die man während des Lesens und auch danach ständig nachdenkt. Diese Vermischung von Utopie und Dystopie ist gleichermaßen interessant und erschreckend. Immer wieder vergleicht man sie mit unserer heutigen Gesellschaft und stellt sich die Frage, ob man so leben könnte oder wollte. Diese Welt hat sowohl Vor- als auch Nachteile, denn es gibt immer zwei Seiten der Medaille. Es hat sicherlich seinen Reiz, wenn man ein gesichertes Leben erhält und sich keine Sorgen machen muss. Man wird versorgt, bekommt Arbeit und Nahrung – wobei man nicht zum Genuss isst, sondern mit sehr wenigen Ausnahmen nur für die Gesundheit – und wenn man sein Leben nicht allein verbringen will, bekommt man einen idealen Partner zugeteilt, ohne lange suchen zu müssen, was einem wiederum gesunde Kinder garantieren soll. Natürlich ist die Vorstellung, dass man fast sämtliche Krankheiten, darunter auch alle Arten von Krebs, der heute leider in den meisten Fällen immer noch unheilbar ist, ausgerottet hat, mehr als wünschenswert. Aber wie hoch darf der Preis dafür sein? Sollte man dafür wirklich alle Entscheidungen abgeben und jemand anderen völlig über sein Leben und auch seinen Tod bestimmen lassen? Sollte man dafür auf seine Individualität verzichten und all diese Einschränkungen in Kauf nehmen? Möchte man von Beginn seines Lebens an wissen, wann genau man stirbt, wenn man dafür dann nicht allein ist?
Diese Fragen sind wirklich schwer zu beantworten und vermutlich wird jeder es anders sehen. Doch aus der Sicht unserer heutigen Gesellschaft überwiegen wohl die Nachteile der Welt, die Ally Condie skizziert, denn es ist doch schwer vorstellbar, unsere Individualität und all unsere Entscheidungen gegen ein langes und gesichertes, dafür aber eintöniges und gleichgeschaltetes Leben unter absoluter, fremder Kontrolle zu tauschen.

Während ihrer Entwicklung im Verlauf der Handlung, die der Autorin besonders gut gelingt, stellt die Protagonistin Cassia sich irgendwann schließlich dieselben Fragen. Anfangs ist sie noch sehr naiv und nimmt alles hin, was ihre Eltern, Lehrer oder die Funktionäre ihr sagen, ohne irgendetwas zu hinterfragen Sie ist (noch) davon überzeugt, dass alles zu ihrem Besten geschieht und die Funktionäre schon wissen, was sie tun. Im Grunde hält sie ihre gleichgeschaltete Welt sogar für perfekt.
Das ändert sich jedoch als ihr Großvater ihr an seinem Sterbebett sagt, dass es okay sei Fragen zu stellen. Zunächst weiß sie nicht so recht, was er ihr damit sagen wollte, aber nach und nach kommt sie langsam dahinter und der Rat ihres Großvaters öffnet ihr endlich die Augen. Sie fängt an ihre Welt genauer unter die Lupe zunehmen und stellt fest, dass nichts so perfekt ist, wie sie anfangs dachte.
Cassia entwickelt Wünsche, die sie nie auch nur geahnt hätte und verspürt den Drang sich aufzulehnen, obwohl sie die Regeln bisher immer befolgt und nie angezweifelt hatte. Sie möchte eine Wahl haben und für sich selbst entscheiden können, anstatt andere über sie bestimmen zu lassen. Sie kann nicht mehr verstehen, warum das nicht möglich oder was daran so schlimm sein soll.

Die Gedanken und Gefühle, die durch die Ich-Perspektive des Romans besonders verständlich und nachvollziehbar sind, entwickelt Cassia allerdings nicht nur auf Grund der Aussage ihres Großvaters. Sie verliebt sich in Ky, denjenigen, der auf ihrem fehlerhaften Mikrochip zu sehen war. In jemanden, der nicht Xander ist, also in einen Jungen, mit dem sie nicht gepaart wurde. Vor allem dieser Umstand führt dazu, dass Cassia anfängt an dem System der Gesellschaft zu zweifeln. Was ist, wenn Xander gar nicht ihr idealer Partner ist? Oder wenn er nicht der einzige ist?
Je mehr Zeit sie mit Ky verbringt, desto mehr verliebt sie sich auch in ihn und desto größer wird auch ihr Wunsch aus dem System auszubrechen, was man nur zu gut nachempfinden kann. Sie möchte ihr Leben mit der Person verbringen, die sie liebt und nicht mit der, die die Gesellschaft ihr aufzwingt, so sehr sie Xander auch mag und schätzt.

Doch Cassia und Ky dürfen nicht zusammen sein und schon gar keine Berührungen oder sonstige Zärtlichkeiten austauschen. Wenn sie nicht allein sind, müssen sie stets vorsichtig sein und Abstand halten, damit niemand etwas merkt, denn das könnte für Beide äußerst schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen. Trotzdem können sie einander nicht völlig fern bleiben und gehen dadurch immer mehr Risiken ein. Schließlich trifft Cassia aus Liebe sogar eine Entscheidung, die verantwortlich für Kys restliches Leben ist.

Aber nicht nur die Beziehung zwischen Cassia und Ky gelingt der Autorin besonders gut, sondern auch die zwischen Cassia und Xander. Sie hat ihm gegenüber oftmals ein schlechtes Gewissen und fühlt sich hin und her gerissen zwischen ihren Gefühlen für Ky und denen für Xander. Sie will ihren besten Freund nicht verletzten, kann aber auch nicht mehr seine Partnerin sein.
Xander ist jedoch eine sehr liebenswerte Figur und kann sie sogar verstehen. Selbst Ky gegenüber verhält er sich nach wie vor sehr freundlich und trägt es ihm nicht nach, dass er ihm seine Partnerin in gewisser Weise ausgespannt hat.

Der letzte Teil ist dann noch einmal besonders spannend und Nerven aufreibend. Die Autorin kann den Leser mit einer erschreckenden Wendung überraschen, die man so auf keinen Fall erwartet hat. Mit dem offenen Ende schafft sie die Basis für den zweiten Band, den man, von dem Moment an, in dem man die letzte Zeile gelesen hat, sehnlich erwartet um zu erfahren, wie es weiter geht. Worum es geht, deutet die Autorin schon an, aber ob und wie Cassia ihr Ziel erreicht, wird man erst im nächsten Teil erfahren, der mit Sicherheit genauso spannend weiter geht.

Lobend zu erwähnen ist auch noch der Schreibstil von Ally Condie. Das Buch liest sich sehr flüssig und die Handlung wird stets vorangetrieben. So werden z.B. nur Szenen geschildert, die mehr oder weniger wichtig für den weiteren Verlauf der Geschichte sind. Momente oder Tage, an denen sich nicht von Bedeutung ereignet, werden einfach übersprungen und ziehen den Roman dadurch nicht unnötig in die Länge. Dadurch gibt es keine langatmigen Passagen und die Spannung bleibt durchweg erhalten.

Fazit

Die Auswahl ist ein fantastischer Auftakt zu einer äußerst spannenden und fesselnden Serie. Die faszinierende wie auch erschütternde Gesellschaft, die Ally Condie erschaffen hat, ist Utopie und Dystopie zugleich. Die Welt und ihre diversen Einschränkungen sowie die Ansichten der Funktionäre sind immer wieder aufs Neue schockierend und beschäftigt den Leser auch noch lange nachdem er das Buch beendet hat.

Die Handlung um Cassia und Ky sowie ihre gemeinsame tragische Liebesgeschichte zieht einen sofort in ihren Bann und lässt einen nicht so schnell wieder los. Das Ende ist überraschend und schockierend zugleich, garantiert aber somit auch das Weiterverfolgen der Serie, weil man unbedingt erfahren will, wie es mit diesem Paar, das man so schnell ins Herz geschlossen hat, weitergeht.





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