[Rezension] Schamlos

08. Mai 2019 | 23:50 | Gelesen

Titel: Schamlos
Autoren: Amina Bile, Nancy Herz, Sofia Nesrine Srour
Originaltitel: Skamløs
Erstveröffentlichung: 2017
Übersetzerin: Maike Dörries


Wissenswertes

Schamlos ist ein Buch der in Norwegen lebenden Autorinnen Amina Bile, Sofia Nesrine Srour und Nancy Herz. Dort starteten die in den 1990ern geborenen Frauen eine Bewegung zu dem Thema negative soziale Kontrolle, eine Problematik, die vor allem junge Frauen aus kulturellen Minderheiten betrifft. In den Medien wurde diese Bewegung unter dem Titel „Die schamlosen Mädchen“ bekannt und 2017 mit dem Fritt-Ord-Ehrenpreis ausgezeichnet.

Inhalt

Über Probleme spricht man nicht? Von wegen! Die drei jungen Frauen Amina Bile, Sofia Nesrine Srour und Nancy Herz – schamlose Mädchen, wie man sie nennt – haben es sich zum Ziel gesetzt offen und ehrlich über die Probleme zu sprechen, die es mit sich bringt als junge muslimische Frau in einem westlichen Land zu leben. Wie es sich anfühlt, hin und her gerissen zu sein zwischen den Erwartungen der Familie und dem Wunsch die gleichen Erfahrungen machen zu dürfen wie alle anderen Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Schonungslos ehrlich zeigen sie kulturelle Unterschiede auf, berichten über die alltäglichen Erlebnisse muslimischer Mädchen und werben für mehr Toleranz, damit auch sie die Freiheit erhalten, sie selbst zu sein.

Kritik

Schamlos ist ein sowohl inhaltlich als auch optisch überaus gelungenes Buch, mit dem die drei jungen Frauen Amina Bile, Sofia Nesrine Srour und Nancy Herz zur Aufklärung über verschiedene Probleme in der heutigen Gesellschaft beitragen und mit diversen Vorurteilen aufräumen wollen.

In dem Buch wurden diverse Texte zu unterschiedlichen Themen zusammengestellt, die im Endeffekt aber alle mehr oder weniger die gleiche Botschaft vermitteln bzw. dasselbe Ziel anstreben, nämlich die Freiheit zu haben, man selbst zu sein. Eines der wiederkehrenden Themen ist beispielsweise negative soziale Kontrolle, wobei die Bedeutung dieses Terminus eingangs genauer erläutert wird. Man muss also keine Scheu haben, wenn man mit dem Begriff anfangs noch nichts anfangen kann; die Probleme, die damit gemeint sind, kennt jeder wenigstens zum Teil und viele dürften etwas Ähnliches schon selbst erlebt haben.

Die drei Autorinnen sind Muslimas mit Migrationshintergrund und schildern vor allem viele Konflikte, die mit ihrer Kultur zusammenhängen bzw. mit den Unterschieden zwischen den Kulturen des Landes, in dem sie leben, sowie des Landes, aus dem ihre Eltern stammen. Es ist sehr interessant etwas über die damit verbundenen Schwierigkeiten zu erfahren und diesbezüglich sensibilisiert zu werden, auch wenn man vielleicht nicht selbst betroffen ist, da es sich um gesellschaftliche Problematiken handelt, die jeden etwas angehen und nur gelöst werden können, wenn man überhaupt Kenntnis davon hat. Besonders aufschlussreich ist insofern der Abschnitt über den Hidschab oder das Kopftuch, wie man es hierzulande meist nennt. Es werden sowohl die Vorteile als auch die Nachteile aufgezeigt und am Ende gelangt man zu der Erkenntnis, dass es genauso bevormundend ist Frauen das Tragen des Hidschabs in der Öffentlichkeit zu verbieten wie sie dazu zu zwingen. Kulturelle Unterschiede werden vielfach als Bedrohung angesehen, dabei kann diese Vielfalt das Leben enorm bereichern.

Es geht allerdings nicht ausschließlich um Rassismus oder Islamfeindlichkeit, sondern ebenso um Sexismus; einschließlich Slut Shaming und Victim Blaming, und den bekommt man als Frau unabhängig von der Herkunft zu spüren. Geschlechterdiskriminierung ist nach wie vor ein weltweites Problem, obschon es in den verschiedenen Ländern natürlich unterschiedlich stark ausgeprägt ist bzw. Frauen in manchen Ländern deutlich schlimmer diskriminiert werden als zum Beispiel hier in Europa. Wenn man sich in dieser Hinsicht eine Veränderung wünscht, muss man dazu beitragen diese herbeizuführen, denn das passiert nicht einfach von allein, wie manche denken. Auch in Deutschland mussten Frauen sich etwa das Wahlrecht hart erkämpfen. Solche Rechte werden einem leider nicht geschenkt, doch sich dafür einzusetzen lohnt sich.

Die zahlreichen in dem Buch enthaltenen Alltagsgeschichten verschiedener Frauen beschreiben dabei teils Situationen, die die Autorinnen selbst erlebt haben, und teils solche, die ihnen von anderen erzählt wurden, bei denen die Betroffenen aus unterschiedlichen Gründen aber anonym bleiben wollen. Es ist traurig bis erschütternd, was einige Frauen erlebt haben und andere noch immer durchmachen müssen. Permanente Kontrolle durch andere, die damit einhergehende Paranoia und der Mangel an Freiraum oder Privatsphäre sind nur einige der harmloseren Beispiele.

Die vielen strengen, unzeitgemäßen Regeln mit Doppelmoral – ein Mann, der mit zahlreichen Frauen geschlafen hat, ist in der Regel ein beneideter Frauenheld, wohingegen eine Frau, die mit zahlreichen Männern geschlafen hat, von vielen als Schlampe betrachtet wird – führen oftmals zu einem Doppelleben, das die Psyche junger Menschen stark belastet. Zudem haben diese Frauen oftmals niemanden, mit dem sie über ihre Sorgen und Ängste sprechen können. Aus Angst vor den meist unweigerlichen Schuldzuweisungen können sie sich nicht einmal ihren eigenen Eltern anvertrauen, wenn ihnen Gewalt angetan wurde.

Darüber hinaus enthält das Buch neben einigen, wundervollen Illustrationen von Esra Røise und den Photos der Autorinnen mehrere Gespräche zwischen den drei jungen Frauen untereinander über die entsprechenden Themen sowie eine Liste ungewollter Ratschläge, die man als Frau im Laufe des Lebens so zu hören bekommt. Den einen oder anderen davon kennt man womöglich aus eigener Erfahrung, sodass sich wahrscheinlich jede Frau in dem Buch wiederfinden wird.

Man kann Amina Bile, Sofia Nesrine Srour und Nancy Herz wirklich nur dafür bewundern, dass sie schon in so jungen Jahren den Mut aufbringen offen über diese Dinge zu sprechen und trotz all der Anfeindungen sogar vor vermeintlichen Tabus nicht zurückschrecken. Viele ihrer Aussagen und Botschaften sind allgemeingültig, es spielt somit keine Rolle, welcher Religion man angehört oder wo man herkommt. So betonen sie beispielsweise, dass auch psychische Leiden ernst zu nehmende Krankheiten sind, bei denen ein Gang zum Arzt sinnvoller ist als der Rat oder vielmehr der Vorwurf man solle mehr beten. Fragwürdig sind allerdings die abgedruckten Behauptungen eines Arztes über das Jungfernhäutchen, das jedoch, insoweit bestehen keine Zweifel, ohnehin völlig überbewertet wird.

Fazit

Schamlos ist ein überaus empfehlenswertes Buch – nicht nur für Leserinnen mit fremdländischen Wurzeln – das keine spezielle Religion oder Kultur als Ganzes an den Pranger stellen will, sondern lediglich die negativen Aspekte, die einem freien Leben entgegen stehen und gegen essentielle Menschenrechte verstoßen. Die Autorinnen machen darin auf reelle, gesellschaftliche Probleme aufmerksam, über die gesprochen werden muss, damit sich etwas ändern kann.





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