[Rezension] Wer die Nachtigall stört …

03. April 2019 | 23:55 | Gelesen

Titel: Wer die Nachtigall stört …
Autorin: Harper Lee
Originaltitel: To Kill A Mockingbird
Erstveröffentlichung: 2018
Übersetzerin: Claire Malignon


Wissenswertes

Wer die Nachtigall stört … ist ein Graphic Novel, gezeichnet von dem britischen Illustrator Fred Fordham und basierend auf dem gleichnamigen Welterfolg der us-amerikanischen Pulitzerpreisträgerin Harper Lee, die 1926 in Alabama geboren wurde und ebenfalls als Tochter eines Anwalts in den Südstaaten aufwuchs. Sie war seit ihrer Kindheit mit Truman Capote befreundet und selbst ebenfalls dem Schreiben zugeneigt. Dennoch begann sie zunächst Rechtswissenschaften zu studieren, genau wie ihr Vater und ihre ältere Schwester, brach dieses Studium aber einige Jahre später ab, um sich stattdessen nun doch der Schriftstellerei zuzuwenden.

Wer die Nachtigall stört wurde mittlerweile in vierzig Sprachen übersetzt und verkaufte sich insgesamt über vierzig Millionen Mal. Trotz oder vielleicht gerade wegen dieses großen Erfolges hat Harper Lee danach keinen weiteren Roman geschrieben. Bei dem erstmals 2015 veröffentlichten Gehe hin, stelle einen Wächter, das zunächst als Fortsetzung beworben wurde, weil Scout darin sechsundzwanzig Jahre alt ist, handelt es sich wohl vielmehr um einen schon 1957 verfassten ersten Entwurf zu Wer die Nachtigall stört, der in dieser Form vom Verlag abgelehnt und anschließend grundlegend von der Autorin überarbeitet worden war.

Inhalt

1933, Alabama: Obwohl sie von einem alleinerziehenden, berufstätigen Vater aufgezogen werden, können die achtjährige Scout und ihr älterer Bruder Jem vollkommen unbeschwert ihre Kindheit in der Kleinstadt Maycomb genießen. Der zu dieser Zeit in den Südstaaten überall spürbare Rassismus drängt sich erst in diese Kindheitsidylle, als ihr Vater Atticus zum Pflichtverteidiger des schwarzen Landarbeiters Tom Robinson berufen wird, dem man vorwirft ein weißes Mädchen vergewaltigt zu haben. Atticus ist unvoreingenommen und übernimmt den Fall unter anderem, um ein gutes Vorbild für seine Kinder zu sein, wird dafür jedoch schon bald von den anderen, weniger toleranten Bewohnern der Stadt angefeindet und beschimpft, was schließlich auch Scout und Jem durch ihre Mitschüler unmittelbar zu spüren bekommen …

Kritik

Wer die Nachtigall stört … ist eine gelungene Umsetzung des weltweit bekannten, modernen Klassikers in Form eines Graphic Novels, der die Handlung auf etwas weniger als dreihundert Seiten gekonnt erzählt, ohne dass wesentliche Elemente des Romans dabei verloren gehen. Harper Lee zeigt darin sowohl die Abgründe der Menschheit als auch ihre guten Seiten und macht deutlich, dass nicht immer alles nur schwarz oder weiß ist und dass sich sogar eigentlich gute Menschen in schwachen Momenten von anderen dazu verleiten lassen können Böses zu tun.

Die Geschichte befasst sich mit mehreren gesellschaftlichen Problemen der damaligen Zeit, darunter Armut und Klassenunterschiede. Rassismus ist somit nur eines der zentralen Themen und kommt erst nach einem Drittel des Buches langsam zur Sprache, bis es schließlich mehr und mehr in den Vordergrund rückt. In den Südstaaten sind viele Menschen rassistisch und voreingenommen, was die Protagonistin und Erzählerin Scout sowie ihr Bruder Jem am eigenen Leib erfahren, als ihr Vater die Verteidigung von Tom Robinson, einem schwarzen Landarbeiter, übernimmt, der ein weißes Mädchen vergewaltigt haben soll. Obwohl im Prinzip von vornherein feststeht, dass dieser von der Jury, die ausschließlich aus weißen Männern besteht, verurteilt werden wird, gibt Atticus Finch sein Bestes, um dennoch einen Freispruch zu erwirken. Dieser Prozess gehört zu den spannendsten Aspekten des Buches, nimmt insgesamt unglücklicherweise aber nur einen verhältnismäßig kleinen Teil der Handlung ein.

Atticus ist bemüht seinen Kindern ein Vorbild zu sein und sie zu guten Menschen zu erziehen, auch wenn er sich dafür damals geltenden, gesellschaftlichen Konventionen widersetzen muss und dadurch bei anderen Bewohnern der Stadt aneckt. Er will seinen Kindern beibringen den Kampf gegen Ungerechtigkeit niemals aufzugeben, selbst wenn ein Sieg noch so aussichtslos erscheint, denn wer es gar nicht erst versucht, kann sowieso niemals bewirken, dass sich etwas ändert.

Die achtjährige Protagonistin Scout ist ein kleiner Wildfang und schnell auf die Palme zu bringen, doch sie hat das Herz auf dem rechten Fleck, ebenso wie ihr Bruder. Die Geschichte wird aus ihrer Perspektive geschildert, also aus der unschuldigen Sicht eines Kindes, das einfach sachlich schildert, was es erlebt hat.

Gerade zu Beginn, wo man den Kindern hauptsächlich beim Spielen zusieht oder wie sie zur Schule gehen, hat die Geschichte dadurch aber leider ihre Längen, da sie für Erwachsene zu diesem Zeitpunkt noch nichts sonderlich Interessantes zu bieten hat. Erst im späteren Verlauf nimmt sie langsam Fahrt auf und kommt endlich in Schwung. Dafür lernt man viel über die damalige Zeit, deren Sprache originalgetreu wiedergegeben wird. Bestimmte Ausdrücke werden wegen ihres beleidigenden, herabsetzenden Charakters heute zwar nicht mehr gebraucht, wurden zu dieser Zeit jedoch tatsächlich ständig verwendet und von Harper Lee daher ganz bewusst eingesetzt, wie die Anmerkungen am Ende des Buches klarstellen.

Graphisch wurde der Roman ebenfalls ganz gut umgesetzt, wobei im Vergleich zu einigen anderen Graphic Novels zum Teil relativ viel Text enthalten ist, weshalb man erstaunlich lange zum Lesen braucht. Die Zeichnungen sind zwar bunt, es wurden aber überwiegend gedeckte Farben verwendet, passend zur Handlung, die meist alles andere als fröhlich ist. Scout sieht auf manchen Bildern, gerade bei „Nahaufnahmen“, allerdings nicht mehr wie ein Kind aus, sondern wirkt viel älter. Im Großen und Ganzen gelingt es Fred Fordham jedoch gut die Atmosphäre der Geschichte einzufangen und sie in seinen Illustrationen widerzuspiegeln.

Der Graphic Novel stellt somit eine gute Aufarbeitung des eher schwierigen Stoffes dar und macht die Geschichte neuen Zielgruppen zugänglich, für die der Roman vielleicht nur schwer verständlich wäre oder die sich aus unterschiedlichen Gründen nicht heranwagen. Es ist demnach eine tolle Möglichkeit, um Klassiker einem breiteren Publikum darzubieten, weshalb definitiv noch mehr davon als Graphic Novel angeboten werden sollten.

Fazit

Wer die Nachtigall stört … ist, selbst wenn die Zeichnungen einem stilistisch vielleicht weniger zusagen sollten, ein empfehlenswerter Graphic Novel, der eine bekannte Geschichte, deren Themen auch heute noch aktuell sind, neu aufbereitet und so einem noch größeren Adressatenkreis zugänglich macht.





Kommentare

  1. Liebe Stephie,

    die Geschichte wurde mir oft empfohlen und ich habe sie immer noch nicht gelesen, obwohl sie bereits zu den Klassikern gehört.

    Dass es das Buch jetzt als Graphic Novel gibt, könnte ein Anreiz sein, endlich damit anzufangen.

    Danke für die Rezension.

    Liebe Grüße, Tina #Litnetzwerk

    • Liebe Tina,

      nun, da ich den Graphic Novel gelesen und den Film gesehen habe, hält sich mein Wunsch das Buch zu lesen eher in Grenzen, aber wenn dich die Geschichte interessiert, kann ich dir den Graphic Novel sehr empfehlen. Den hat man auf jeden Fall schneller gelesen als den Roman. ;)

      Viele Grüße, Stephie

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